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Mon BERLIN: Kai Diekmann und Nicolas Sarkozy: Die Rache der Spießer

Die Achtundsechziger sind an allem schuld - jedenfalls wenn es nach diesen beiden Herren geht.

Ein Rätsel. Was haben Nicolas Sarkozy, Präsident meiner Republik Frankreich, und Kai Diekmann, Chefredakteur Ihrer „Bild“-Zeitung, gemeinsam (man möge mir verzeihen, dass ich für diese kleine Demonstration das edle Frankreich und „Bild“ auf eine Ebene gestellt habe)? Sie haben recht: Seit einiger Zeit frönen die beiden Herren mit überschäumender Energie einem neuen transnationalen Sport – der Jagd auf die Achtundsechziger.

Haben wir doch diesen Teufelchen ohne Glauben, Moral und Disziplin die Apokalypse zu verdanken, die in absehbarer Zeit über unsere globalisierte Zivilisation hereinbrechen wird. Sie sind an allem schuld: an den Faulenzern, die nicht aus dem Bett finden, am Zerbröseln der Sitten, am Untergang der Werte, an Scheidungen im Fließbandverfahren, an der Geburtenkrise, an der Pisa- Katastrophe, an der fehlenden Vaterlandsliebe. Beide Männer erteilen uns die gleiche Lektion in Moral, Autorität und Patriotismus. Die gleiche Attacke gegen das „Einheitsdenken des Mai 68“.

Nicolas Sarkozy/Kai Diekmann. Und was noch? Schauen Sie sich die Herren genau an. Von Nicolas Sarkozy gibt es ein sprechendes Foto: Sarkozy am 19. Mai 1983 als Bürgermeister von Neuilly, dem vornehmsten Stadtteil von Paris, Grunewald ist ein Slum dagegen. Der künftige Präsident trägt artig gewelltes Haar, eine Flanellhose und einen marineblauen Blazer. Dazu eine breite blau-weiß-rote Krawatte. Die Hände sind gekreuzt wie bei einem Monarchen in der Audienz. Im Hintergrund: getäfelte Wände, Kronleuchter, Perserteppiche im Festsaal des Rathauses. Sarkozy ist 28 Jahre alt. Er ist Frankreichs jüngster Bürgermeister und sieht aus wie ein erstarrter Greis, dessen Haut wie durch ein Wunder glatt geblieben ist.

Und es gibt ein Foto von Kai Diekmann aus dem vorigen Sommer in Heiligendamm. Er sitzt in dem berühmten Strandkorb der G 8, die Haare nach hinten gegelt, auf der Nase eine seriöse kleine Brille wie bei einem bürgerlich gewordenen Bertolt Brecht, dazu ein verfrühtes Doppelkinn, heller Leinenanzug. Ich kann auf dem Foto nicht erkennen, ob er einen Siegelring am kleinen Finger trägt. Er ist erst 40 und wirkt schon wie mein Großonkel Louis mit 60 Jahren, als er den Banketten des Lions Club präsidierte. Nicolas Sarkozy gehört ebenso wie Kai Diekmann jener seltsamen Gattung von Menschen an, die anscheinend nie jung gewesen sind. Unmöglich, sich die beiden mit struppigem Haar vorzustellen, mit einem Dreitagebart, erhobener Faust und einem Kopf voll wirrer Ideen. Die jungen Leute aus dem Quartier Latin, die Pflastersteine, die nackten Rückseiten der Kommune-I-Bewohner, der Häuserkampf in Frankfurt, Che Guevara und die Flower Power – eine andere Welt.

Ein anderes Spielchen, um diejenigen zu überzeugen, die von der guten alten Zeit träumen: Schließen Sie die Augen und erinnern Sie sich. Kurzer Rückblick: Deutschland in den 50ern, Frankreich vor 1968. Adenauer, seine Hosenträger, seine Gartenschere, seine Rosenstöcke. „Tante Yvonne“, die kleine Madame De Gaulle, mit ihrem Schleierhut und ihrer Handtasche, im überproportionierten Schatten ihres sehr großen Ehemannes. Das bigotte, verklemmte, autoritäre Frankreich, noch ganz von Pétains „Familie, Vaterland, Arbeit“ getränkt.

Erinnern Sie sich an Linealschläge auf die Finger, an Prügel mit dem Gürtel, die der Vater nach schlechten Noten austeilte, an die strenge Hierarchie in Firma und Familie. Erinnern Sie sich daran, dass eine anständige Frau damals nicht frei über ihre Lust, ihr Bankkonto und ihren Beruf bestimmen durfte. Und in Deutschland war es genauso, nur noch viel schlimmer! Erinnern Sie sich an das Schweigen über die Nazizeit, an die verdrängte Schuld, die das damalige Deutschland erstickte. Und? Möchten Sie wirklich dahin zurück?

Natürlich kann man sich über die Achtundsechziger aufregen. Natürlich ist der Spruch CRS=SS=Arschficker nicht besonders schlau. Und niemand wird bestreiten, dass es schwachsinnig ist, die Kinder nackt auf dem Esstisch herumtoben zu lassen. Aber jenseits dieser Karikatur, die unsere beiden Junggreise uns servieren, hat diese Rebellion vor fast 40 Jahren unsere in der Nachkriegszeit erstarrten und in ihre falsche bourgeoise Moral gezwängten Länder erschüttert. Die Luft war nicht zum Aushalten. Man musste 20 Jahre alt sein, um das Fenster aufzureißen.

Aus dem Französischen von

Elisabeth Thielicke.

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