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Mon BERLIN: Wir gehen – die Bank bleibt

Während der Monate voller Schnee und Eis harrten sie der Rückkehr der Berliner. Mit der Wiederkehr der schönen Jahreszeit sind die Parkbänke nun von Neuem begehrt. Aber man täte ihnen unrecht, wollte man in ihnen nur einen schlichten Sitzplatz sehen.

Während dieser langen Monate voller Schnee und Eis harrten sie reglos der Rückkehr der Berliner. Allein in den Parks, verlassen am Waldrand oder am Seeufer trotzten sie den Elementen und der Einsamkeit. Sie warteten auf die erste Aprilsonne. Mit der Wiederkehr der schönen Jahreszeit sind die Parkbänke nun von Neuem begehrt. Aber man täte ihnen unrecht, wollte man in ihnen nur einen schlichten Sitzplatz aus Holz, Beton oder Eisen sehen, ein gewöhnliches Möbelstück, das ebenso selbstverständlich zum öffentlichen Raum gehört wie das Pissoir, der Mülleimer oder der Kiosk.

Sich auf eine Bank setzen und stundenlang die Unendlichkeit des Himmels betrachten, reglos, nur ab und zu die Beine anders übereinanderschlagen, damit sie nicht einschlafen – eine weise Beschäftigung, ein Moment meditativer Glückseligkeit, selten und kostbar, ein unerhörter Luxus im frenetischen Rhythmus unserer Zeit. Und auf jeden Fall ein wirksames Mittel gegen den heutzutage so weit verbreiteten Burn-out. In wenigen Minuten verflüssigt sich ein für unlösbar gehaltenes Problem, es verwandelt sich in eine winzige Pfütze. Ah, was soll’s ... Morgen wird die Wohnung aufgeräumt. Der Knatsch im Büro hört auch wieder auf. Und zum Teufel mit den unbezahlten Rechnungen. Schließlich ist es in der Sonne so schön.

Vorige Woche habe ich einen ganzen Nachmittag im Holland Park in London verbracht, auf einer Bank mit einer kleinen Kupfertafel an der Lehne: „Der Stoff der Freundschaft wird aus den Fäden des vertrauten Gesprächs gewebt.“ Auf dieser Bank muss eine große Freundschaft gewebt worden sein. Geständnisse und Gelächter, belauscht allein von den Hortensienbeeten und den Tauben. Bekanntlich ist die Parkbank ein Ort der Initiation in die Liebe: erster Blick, erster Kuss, erster Streit. In einer Ecke im New Yorker Central Park hat eine junge Frau ihrem Verlobten zur Hochzeit eine Bank mit einer Plakette geschenkt, die von ehelicher Klugheit zeugt: „Ich liebe dich so sehr und freue mich auf unsere Heirat ... und wenn wir uns doch mal streiten, kannst du immer hier schlafen.“ Wir wissen nicht, wie viele Nächte der Mann, aus der Wärme des Ehebetts vertrieben, auf der harten Holzbank im Central Park verbracht hat, aber ganz bestimmt hat diese Bank den ehelichen Frieden bewahrt. Traurig und resigniert erzählt eine andere Bank von leiser Melancholie, von einer verpassten Chance, einem verlorenen Traum: „In memoriam für einen unbekannten Ehemann. Häufig ausgemalt. Immer erhofft. Nie gefunden.“

Viele Bänke in den Londoner Parks erinnern an Verstorbene. Man wählt einen Ort, wo der geliebte Mensch so gerne saß, mit einem weiten Blick über die Stadt, auf den Horizont, nahe einem Rosengarten. Eine so schöne Idee, die sich auch in den Berliner Parks gut machen würde. Die Parkbank ist das Mausoleum der Armen, bescheiden, diskret, weniger pompös als ein Denkmal, weniger narzisstisch als eine Statue, nicht so vom Leben abgeschnitten wie ein Grab auf dem Friedhof. Die Parkbank ist ein Moment der Ewigkeit am Rand einer Allee. Das Leben geht weiter, die Jogger laufen in leichtem Trab vorbei, Kinderwagen, Roller, Gruppen von Jugendlichen, Hunde und Clochards, sie alle ziehen im Lauf des Tages vorüber. Der Tote ist nie allein, er ist nicht ganz aus der Alltagswelt ausgeschlossen. Er lädt die Vorübergehenden ein, ihm ein Weilchen Gesellschaft zu leisten. Er fordert sie auf, innezuhalten, Atem zu schöpfen, die Gedanken zu sammeln. Das Leben ist doch so vergänglich: Wir gehen. Die Bank bleibt.

Die Gedenktafeln an den Lehnen der Bänke huldigen dem Leben: „Hier saß er so gern“, „Glückliche Tage“, „Vergangen, doch nicht vergessen“, „Für Mr. Jones und seinen Hund“. In Hampstead Heath habe ich eine so pragmatische, so britische Botschaft entdeckt: „Hier könnte man eine Bank gebrauchen“.

Die Parkbänke regen uns an, über das Vergehen der Zeit, über die Vergänglichkeit nachzudenken. Manche Sätze erscheinen so schmucklos wie ein japanisches Haiku. Kleine Weisheiten mitten in der Natur. „Die Zeit flieht unaufhaltsam“, sagt eine. „Still fällt der Regen“, erwidert die andere. Mein Lieblingssatz: „Nimm dir einen Tag, ruh dich aus und stell dir vor, dass die Welt dir allein gehört.“

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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