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Meinung: Monokulturelle Eierköpfe

Roger Boyes, The Times

Es gibt einen englischen Kinderreim, in dem das eiförmige Kuriosum Humpty Dumpty vorkommt. Wie in vielen Märchen steckt die Geschichte vermutlich voller sexueller Untertöne, die ich aber nie wirklich enträtselt habe. Humpty Dumpty jedenfalls fällt von einer Mauer, zerbricht und kann nicht wieder repariert werden, nicht mal von „allen Pferden des Königs und allen Männern des Königs“.

Die Moral der Geschichte: das Leben ist zerbrechlich. Später werden die Puppen kaputtgehen und die Hamster sterben. Noch später gehen die Ehen auseinander und man verliert den Job. Aber am Anfang von alledem steht der merkwürdige, unheimliche Humpty Dumpty.

Vergangene Woche machten sich die Briten mit dem Gedanken vertraut, dass auch die EU wie ein Ei zerbrechen könnte. Die Briten sind in einer bestimmten Weise europäischer als alles andere: Sie müssen ständig daran erinnert werden, dass Europa gut für sie ist. Deutschland, Frankreich und die Niederlande halten das für naturgegeben. Das ist vielleicht ein Fehler.

Was aus den Trümmern der Verfassungsdebatte herausragt, ist eine einfache Frage: Wollen wir ein offenes oder ein geschlossenes Europa? Wird der europäische Geist am besten durch eine Burg symbolisiert? Wenn ja, was genau schützt diese Burg? Welche Werte? Was für eine Zukunft?

Angela Merkel, in ihrer ersten Tat als Kanzlerkandidatin, hat deutlich gemacht, dass sie das geschlossene Europa einem offenen vorzieht. Das französische Non versteht sie als nervöse Reaktion jener Wähler, die durch die multikulturelle Gesellschaft und die Osterweiterung verunsichert sind. Ihr außenpolitisches Hauptthema im Wahlkampf wird deshalb eine „ehrliche Diskussion“ über den EU-Beitritt der Türken sein. Es sei ihre Pflicht, lautete die Schlussfolgerung, die Sorgen und Ängste der Deutschen ernst zu nehmen. Politiker haben aber auch die Pflicht, zu führen und klar zu denken. Ihre Anhänger im Konrad-Adenauer-Haus jubelten von den Rängen, als ob sie gerade einem brillanten Sopran in Tosca gelauscht hätten.

Deutschland würde jedoch einen furchtbaren Fehler machen, wenn es diesen Weg beschreiten würde. Die Abschiebepraxis der Unionsregierten Länder ist bereits an der Grenze zu dem, was in einer humanen Gesellschaft akzeptabel ist. Günther Beckstein als deutscher Innenminister würde an der Spitze einer konservativen Gegenrevolution stehen, die gegen Multikulturalismus und weitere Ein- und Zuwanderung gerichtet ist und deren Ziel eine angeblich sichere Gesellschaft ist, in der die Polizei zusätzliche Befugnisse hätte. Macht, die den Geheimdiensten im Krieg gegen den Terror zugewachsen ist, wird institutionalisiert. Und Deutschlands Freiheiten schmilzen dahin.

Was unterscheidet Angela Merkels Vorstellung von Globalisierung von der Oskar Lafontaines? Die Tatsache, dass sie Globalisierung als eine Herausforderung betrachtet, nicht als Bedrohung. Aber man kann nicht auf der einen Seite das Globale begrüßen und auf der anderen die Zuwanderung stoppen. Die multikulturelle Gesellschaft ist keine Option, sie ist die Lebensform der Moderne. Eine ausgezeichnete Ausstellung im Kreuzberg-Museum in der Adalbertstraße dokumentiert, wie Friedrichshain und Kreuzberg von der Zuwanderung profitiert haben und von ihr geprägt wurden. Jede Einwanderungswelle – von den Hugenotten und böhmischen Protestanten zu den polnischen Katholiken und anatolischen Muslimen – hat den Einheimischen neue Toleranzschwellen abgenötigt. Es war und ist nie leicht, Neuankömmlinge zu integrieren. Jede Zuwanderungsphase zeigt: Städte wachsen, wenn sie Fremde aufnehmen, und sie verkümmern, wenn sie es nicht tun.

Ich würde Angela Merkel gerne Hongs Tabakladen in Friedrichshain zeigen. Dort treffen sich Vietnamesen – die erwachsenen Kinder DDR-„Vertragsarbeiter“ – mit Angolanern und Mosambikanern, die wie sie nach dem Kollaps des Kommunismus in der DDR gestrandet sind. Vietnamesische Frauen in der DDR durften nicht schwanger werden, ihr erstes Geschenk vom Staat war Trisistan, die ostdeutsche Antibabypille. Heute fühlen sie sich frei und Hongs Laden ist längst so etwas wie ein Heiratsmarkt. Merkel würde das zweifelsohne als Parallelgesellschaft verdammen. Sie sollte sich die Kinder anschauen, die dort herumlaufen. Sie sind großäugig, gutaussehend und intelligent – und die meisten sind deutsche Staatsbürger, die eines Tages sicherstellen werden, dass Deuschlands Rentensystem funktioniert.

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