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Moral und Politik: Schwarz-Gelb, ein Zerrspiegel

Auch die Fußball-WM wird das schwarz-gelbe Trauerspiel nicht übertönen können. Trotz des Spielplans in Südafrika wird der 30. Juni die Leidenschaften des Volkes aufrühren. Denn der Tag der Präsidentenwahl könnte Antwort auf die bange Frage geben: Findet dieser Schrecken hier ein Ende?

Es liegt in der Denkweise der abwartenden Kanzlerin, die nächsten Wochen mit Hilfe der Fußball-Weltmeisterschaft zu überstehen. Das Mega-Gefühlsereignis könnte die schwarz-gelben Missklänge übertönen. Da täuscht sie sich. Die Emo-Werte des Regierungsschauspiels sind längst konkurrenzfähig mit der WM. Ein großes Drama, nur eben im Bösen, eines, das schwierige menschliche Rätsel aufgibt. Trotz des Spielplans in Südafrika wird der 30. Juni die Leidenschaften des Volkes aufrühren. Denn der Tag der Präsidentenwahl könnte Antwort geben auf die bange Frage: Findet dieser Schrecken hier ein Ende?

Den Schrecken bezieht das Trauerspiel in Berlin daraus, dass es täglich allen Werten und Tugenden widerspricht, die in der Welt der bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP (und übrigens auch aller anderen) etwas gelten. Das Rätsel der Wildsauen-, Gurkentruppen- und Rumpelstilzchen-Koalition ist nur mit Kategorien des Nichtpolitischen noch zu begreifen. Denn diese Koalition ist ja selbst in erschreckendem Sinne antipolitisch. Fliehkräfte treiben ein „Traumpaar“ vom ersten Tag an auseinander, die Egomanie ist unbeherrschbar. Leicht erstaunt und fast unbeteiligt schaut die Regierungschefin zu, weil sie die Farben von Kameradschaft, Loyalität und Zusammenrauferei nicht kennt. Schwarz-Gelb fehlt existenziell, was demokratische Politik erst möglich macht. Nämlich die Bereitschaft, von der eigenen Person (oder Partei) das entscheidende Quäntchen abzusehen, das gemeinsame Ziele und Vorhaben stiften und verwirklichen kann.

Das Traumpaar Merkel/Westerwelle fand leicht zusammen, weil gleich und gleich sich gern gesellt. Doch ihre Seelenverwandtschaft beruht vor allem auf einem ähnlichen Grad der Bindungslosigkeit, der eine Beziehung im Grunde sinnlos macht. Übergangslos brach ein schwarz-gelber Rosenkrieg aus, der nach wenigen Monaten auch die zu hilflosen Geiseln gemacht hat, denen Besseres zuzutrauen ist. Die Hauptakteure unter der farbenblinden Chefin sind gefangen in einer Umklammerung, in der man sich mit umso mehr Wucht wehzutun bereit ist, als man ihr nicht entfliehen kann. Da kann man allen nur in Bälde wünschen, worauf ihr Drama unausweichlich zutreibt. Ein Ende, den Bruch. Befreiung. Neuwahlen.

Wer glaubt denn noch an einen Neustart? Weil ein ganzes Land, Europa, ja, auch die Welt von dieser Regierung abhängen, ist es überhaupt kein Spaß, es ist bitterer Ernst, auf diese Weise über sie schreiben zu müssen. Das schwarz-gelbe Chaos legt eine fundamentale Frage unserer geglückten, nun aber in die Jahre gekommen Demokratie bloß. Seit jeher entwickeln sich unsere Geschicke zwischen spannungsgeladenen Polen. Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen und doch will jeder Einzelne seinen Weg selbst bestimmen und gehen. Längst haben kluge Köpfe die Frage gestellt, wie in hoch individualisierten Gesellschaften Solidarität und Gemeinsinn überhaupt noch entstehen können. Eine Antwort liegt auf der Hand. Wenn Strukturen und Verhältnisse Solidarität nicht mehr im alten Maß erzwingen, dann steigt die moralische Verantwortung des Einzelnen. Die kolossale Amoral der Finanzakteure zeigt, wie schwer diese einfache Antwort in Wahrheit ist.

Man könnte, kühl wie die Kanzlerin, analysieren: Diese Bundesregierung hält einer Ego-Gesellschaft doch nur ihr eigenes Bild entgegen. Vernunft und Gefühl widersprechen: Nein, Schwarz-Gelb ist ein Zerrspiegel. Wir können es besser, solidarischer, politischer.

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