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Meinung: Morden in Indonesien: Der hohe Preis der Demokratie

Das Morden ist grauenhaft. Bestialische Massaker zwingen uns, Stammes- und Inselnamen zu lernen, von denen selbst der eifrigste Bali-Urlauber und Nasi-Goreng-Fan kaum je gehört hat.

Das Morden ist grauenhaft. Bestialische Massaker zwingen uns, Stammes- und Inselnamen zu lernen, von denen selbst der eifrigste Bali-Urlauber und Nasi-Goreng-Fan kaum je gehört hat. Fünf Jahre Übergang hat Indonesien hinter sich. Fünf Jahre, in denen die Autokratie des Generals und Dauer-Herrschers Suharto aufweichte, der Alte schließlich gestürzt wurde, sein Nachfolger Habibie den gleitenden Übergang versuchte und Ost-Timor unabhängig wurde. Jetzt bemüht sich Präsident Wahid, aus der viert-volkreichsten Nation der Welt ein pluralistisches und tolerantes Land zu machen. Die ersten freien Wahlen wurden gefeiert, Prozesse gegen Suhartos raffgieriges Umfeld begannen, es gibt mehr Freiheit als in irgendeinem anderen moslemisch geprägten Land. Die Macht des Militärs wurde zurückgedrängt. Viele Erfolge also. Wenn da nicht ständig neue Nachrichten von Gemetzeln aus irgendeiner Ecke des riesigen Inselreiches kämen.

Die schlimmste Bilanz des Übergangs kommt aus der Mitte des Landes, von dort, wo Ruhe herrscht. Der normale Indonesier bilanziert die Demokratisierung so: Alles ist viel teurer geworden, der Tourismus bricht ein, Jobs gehen verloren, Gewalt allerorten. Abseits der westlich geprägten Eliten greift Suharto-Nostalgie um sich, und dahinter steckt vor allem der gleich banale wie verständliche Wunsch, endlich wieder sicher leben zu können. Was also ist los in dem Land, das so enge Beziehungen zu Deutschland unterhält?

Man könnte es tödliches Überlappen nennen. Im Norden Sumatras kämpfen Menschen, die von der Zentrale unterdrückt werden, gegen Jakartas Oberhoheit. In Irian Jaya streiten Menschen, die in der javanischen Leitkultur aufgrund ihrer dunkleren Haut, ihres kräftigeren Körperbaus und ihrer krausen Haare als Witzfiguren verspottet werden, für die Eigenstaatlichkeit. In Kalimantan, der indonesischen Südhälfte Borneos, schlachten die Dayak, Nachkommen der Ureinwohner, die Einwanderer von der Insel Madura ab. Ambon, die Hauptstadt der Molukken, sieht heute aus wie Beirut - halb christlich, halb moslemisch, mit Todesstreifen dazwischen.

Und doch: Der ethnische Konflikt in Kalimantan ist zugleich ein religiöser, weil Christen und Animisten auf Moslems stoßen. Der religiöse Nachbarschaftskrieg auf den Molukken hat ökonomische Dimensionen, der Regionalkonflikt auf Sumatra ethnische, der ethnische in West-Papua soziale. Die aus einer tiefgreifenden Verunsicherung geborene Gewaltbereitschaft bedient sich jedes Feindbildes und jedes Konfliktmusters. Suhartos letzte Schergen heizen aus Rachsucht heraus die Konflikte an. Das Militär steht passiv daneben; Polizisten haben Angst - oder schießen dort mit, wo ihre eigene Volks- oder Religions-Gruppe sich austobt. Die alten Autoritäten sind weg. Neue, demokratisch und zivilgesellschaftlich legitimierte, wachsen erst.

Als wäre dies nicht genug, kommt zweierlei hinzu: die Folgen der tiefsten Rezession in 30 Jahren und die Verwerfungen, die Suhartos Sozialingenieure hinterließen. Die haben neun Millionen Menschen entwurzelt, sie von übervölkerten Inseln weggekarrt und irgendwo im Regenwald ausgesetzt. Dass der Übergang bei so vielen Problemen nicht nur holprig ist, sondern von grausamen Exzessen begleitet, ist tragisch. Und, auf tragische Weise, verständlich. Nicht richtig, wohlgemerkt - nur verstehbar.

Rezepte? Hoffnungen? Wege zum Frieden? Es gibt sie. Massenhafte Unabhängigkeiten wären nur die Schattenseite des völligen staatlichen Zerfalls. Das Völkergemisch lässt sich nicht entflechten, und wenn, dann nur um einen Preis, der gleich barbarisch wäre wie jener, den Indonesien derzeit zahlt. Es gibt Begriffe, die schön klingen, aber ungeheuer schwer umzusetzen sind. Sie müssen dennoch Praxis werden: Dezentralisierung, Föderalismus, Subsidiarität. Vor allem braucht Indonesien Geduld. Die Opfer können sie nicht haben. Damit es keine weiteren gibt, braucht die Führung kurzfristig vor allem eines: Mut - zum Einschreiten gegen die Gewalt. Präsident Wahid leugnet sie und ruft den Toten entlang der Straßen Borneos wie zum Spott hinterher: "Leichenberge - das stimmt nicht!" Wohl aber stimmt: So hat nicht einmal Wahid eine Zukunft.

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