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Meinung: Mr. Glaubwürdig wird nervös

Bush sah sich als Gegenmodell zu Clinton – und hört jetzt den gleichen Vorwurf: Lüge

Drei kleine Bemerkungen vorab, um Fehlwahrnehmungen vorzubeugen: Das Ansehen des amerikanischen Präsident bei seinen Landsleuten sinkt zwar rapide, ist aber immer noch groß. Die Opposition – nicht weniger als neun Demokraten, wollen Bushs Herausforderer werden – findet langsam eine gemeinsame Angriffslinie, wirkt aber immer noch blass. Bis heute sind im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden, was, je nach politischer Tendenz, als peinlich, mysteriös oder entlarvend gilt. Aber schon morgen könnte die US-Administration „Heureka" rufen, weil sie, gut versteckt, doch ein paar chemische Sprengköpfe aufspüren kann. Folglich muss man Vorsicht walten lassen. George W. Bush sitzt sicher im Amt. Seine Regierung stürzt nicht. Vielleicht wird er 2004 sogar wiedergewählt. Zur Panik besteht kein Anlass, weder im Weißen Haus noch bei den Republikanern. Jedenfalls vorerst nicht.

Panik herrscht nicht bei den Verantwortlichen in Washington, aber gesteigerte Nervosität greift in diesen Tagen immer stärker um sich. Ein doppeltes Debakel hat die Regierung in ihre schwerste Krise seit dem 11. September 2001 gestürzt. Da ist einerseits der katastrophal verlaufende Wiederaufbau im Irak mit täglich neuen Toten und frustrierten Soldaten. Und andererseits die Legitimationsdebatte, die erheblich an Dynamik gewonnen hat. Die Vorwürfe sind massiv: von Verdrehung der Wahrheit über Manipulation bis hin zu Lüge und bewusster Täuschung. Völlig abgetaucht sind die ideologischen Vordenker des Irak-Krieges, die Neokonservativen. Sie schweigen betreten. Ihre Visionen von einer Neuordnung des gesamten Nahen Ostens samt Demokratisierung der islamischen Welt will niemand mehr hören. Schon jetzt fühlt sich die amerikanische Besatzungsarmee überfordert.

Als Bush als 43. US-Präsident vereidigt wurde, war er auf drei Dinge erpicht. Er wollte, erstens, die Glaubwürdigkeit des Amtes wiederherstellen, die sein Vorgänger durch den Lewinsky-Skandal angeblich ramponiert hatte. Zweitens, eine nach außen geschlossen auftretende Regierung führen, die aus starken Persönlichkeiten besteht. Drittens, die Sicherheitsinteressen Amerikas neu definieren. Diesen Vorsatz katapultierte der 11. September auf Platz eins der Agenda.

Alle drei Ziele sind nun in Gefahr. Das macht die Krise so ernst. Die Vorwürfe treffen ins Mark. Stichwort Glaubwürdigkeit: Etwa die Hälfte der Amerikaner meint bereits, Bush habe es mit der Wahrheit nicht so genau genommen, als er die Nation auf den Irak-Krieg einstimmte. Stichwort Geschlossenheit: Zur Dauerfehde zwischen Donald Rumsfeld und Colin Powell gesellen sich nun Differenzen zwischen Weißem Haus und CIA. Selbst Tony Blair, seinen engsten Verbündeten, lässt Bush bei der Frage nach den Beweisen für das angebliche Atomwaffenprogramm des Irak im Regen stehen. Stichwort Sicherheit: Falls vom Irak tatsächlich keine Bedrohung der USA ausging, drängt sich die Frage auf, ob der Krieg die Sicherheit Amerikas nicht eher gefährdet hat.

Für Europäer mögen solche Einwände banal klingen. Sie haben Bush nie gemocht. In den USA jedoch bricht jetzt jenes patriotische Zusammengehörigkeitsgefühl auf, das den Präsidenten lange Zeit vor allzu harschen Vorwürfen bewahrt hatte. Je miserabler die Zustände im Irak sind, desto lauter wird die Sinnfrage gestellt. Bush ist in der Defensive. Der Wind hat sich gedreht. Sollte er im November 2004 nicht wiedergewählt werden, wird die vergangene Woche als Anfang seines Endes in die Geschichtsbücher eingehen.

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