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Mubaraks Rücktritt: Vom Volk besiegt

In Ägypten wird Geschichte geschrieben. Wann haben wir uns zuletzt darüber gefreut, dass irgendwo auf der Welt das Militär die Macht übernommen hat? An den Gedanken, dass vorerst nur die Armee für Stabilität sorgen kann, werden wir uns gewöhnen müssen. Ein Kommentar.

Das war die Stunde des Triumphs für die vielen zehntausend Ägypter, die seit mehr als zwei Wochen auf dem Tahrir-Platz marodierenden Schlägertrupps die Stirn boten und ihre Sehnsucht nach Freiheit und Menschenrechten in den Himmel Kairos schrien. Der Diktator ist gestürzt! Am 18. Tag der Proteste und gewaltfreien Demonstrationen entzog das Militär Hosni Mubarak endgültig die Unterstützung und zwang ihn zum Rücktritt. Wann haben wir uns das letzte Mal darüber gefreut, dass irgendwo auf der Welt das Militär die Macht übernommen hat? In Ägypten steht es auf der Seite der Menschenrechte, es verspricht freie Wahlen und Schutz vor Willkür. Was für eine wunderbare Stunde für dieses große Land, was für ein Fanal der Hoffnung und des Aufbruchs für die ganze arabische Welt!

Selten hatte ein Politiker die Stimmung in seiner Heimat so falsch eingeschätzt wie Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, als er am Donnerstagabend mit wichtiger Miene ankündigte, seiner Nation noch eine Zeitlang dienen zu wollen. Während in den ersten Minuten seiner Fernsehansprache noch Zehntausende von Menschen im Zentrum Kairos atemlos der Übertragung lauschten – in der freudigen Erwartung, gleich würde der Staatschef seinen Rücktritt bekannt geben –, schlug ihre Euphorie in wütendes Schreien um, als sie erkannten, dass Mubarak so wohl nur Zeit gewinnen wollte. Aber seine Rechnung ging nicht auf. Die Armee stützte ihn nicht länger. Den Befehl zur Gewalt gegen das Volk mochten die Generäle nicht riskieren. Eine Blutspur durch die Reihen der Demonstranten, wie im Iran, konnten sie nicht wollen, denn der bis dahin gezeigten Solidarität mit dem Volk verdankt das Militär sein hohes Ansehen. Ob die einfachen Soldaten überhaupt auf ihre Landsleute geschossen hätten, darf man bezweifeln.

Mubarak war seit Donnerstagabend ein Präsident ohne Land und ein Präsident ohne Volk – und es war keine Entwicklung vorstellbar, die ihm Ansehen, Macht und internationale Akzeptanz hätte zurückgeben können. Ihm bleibt letztlich nur die Ausreise, dies vielleicht nicht sofort, aber bald. Wenn Deutschland als vorübergehendes Asylland ins Gespräch kommen sollte, auch wegen der von Mubarak hier gewohnten ärztlichen Behandlungen, sollte die Bundesregierung eine solche Hilfestellung nicht von vornherein ablehnen. Immerhin war der ägyptische Präsident Jahrzehnte der umworbene Gesprächspartner der Bundeskanzler und Außenminister.

An den Gedanken, dass nur die Armee in der Zwischenphase bis zu Neuwahlen für die Stabilität sorgen kann, wird man sich in den USA und in Europa gewöhnen müssen, denn andere Garanten sind nicht in Sicht. Auch deshalb ist es so wichtig, dass die US-Militärhilfe nicht, wie gedroht wurde, unterbrochen wird, solange die Armee die Bevölkerung vor Willkür des alten Macht- und Polizeiapparates schützt. Vizepräsident Osman Suleiman, der in der Übergangsphase wohl an der Staatsspitze stehen wird, braucht diese Hilfe des Militärs, er braucht aber auch zurückhaltende Ermutigung aus Europa und aus den USA. Nichts darf dabei geschehen, was den Eindruck erweckt, Mubaraks Nachfolger seien aus Washington oder Brüssel gesteuert.

In Ägypten wird in diesen Tagen Weltgeschichte geschrieben. Die politische Entwicklung dieser Nation kann über die Zukunft des gesamten arabischen Raumes entscheiden. Deshalb muss alles getan werden, die Leitnation vor einem Chaos zu bewahren.

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