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Ein Otto Dix in der Ausstellung "Entartete Kunst" in Frankfurt/Oder: "Heillose Hinterlassenschaften der Nazis"

© dpa

Münchner Kunstfund: Leben mit dem Nazi-Erbe

Nach den entdeckten Kunstwerken in einer Münchner Wohnung empört sich die Republik über den "Nazi-Schatz". Doch egal, wer die Kunstwerke einst entwendete - sie können uns nicht dabei helfen, nachträglich das NS-Regime zu besiegen. Ihre Funktion muss eine andere sein.

Wenn das keine Story ist: Ein alter Herr hütet in seiner Münchner Etagenwohnung 1406 Kunstwerke, die seit Kriegsende niemand zu Gesicht bekommen hat. Eines Tages kommt die Zollfahndung, beschlagnahmt den ganzen Schatz, und siehe da, es handelt sich um zur NS-Zeit entwendete Kunstwerke. „Nazi-Schatz in Müllwohnung entdeckt“, titelt die Zeitung mit den großen Buchstaben griffig, und Empörung herrscht im ganzen Land.

Empörung worüber? Dass es dem Münchner Sonderling gelungen ist, jahrzehntelang sein Geheimnis zu bewahren? Dass Polizei und Staatsanwaltschaft über ihren Fund geschwiegen haben, bis zufällig etwas durchsickerte? Oder am Ende darüber, dass nicht jedes sichergestellte Werk fein säuberlich seinem früheren Eigentümer zurückgegeben wird? Denn genau darauf wird es hinauslaufen. Der Fall ist deshalb so bestürzend, weil er uns in geballter Form vor Augen führt, wie heillos die Hinterlassenschaft des Nazi-Regimes ist. Und sei es nur auf dem vergleichsweise kleinen Feld der Kunst, das aber, wegen der Sichtbarkeit von Kunst, stellvertretend steht für das ganze schreiende Unrecht, dass die Nazis angerichtet und uns hinterlassen haben.

Diesem Unrecht war und ist auch mit den Gesetzen des bundesdeutschen Rechtsstaats nur bedingt beizukommen. Der Komplex des „NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts“, vulgo die Beraubung jüdischer Mitbürger, ist nach der „Washingtoner Erklärung“ von Ende 1998 aus guten Gründen auf eine neue Grundlage gestellt worden. Nicht durch Änderung der allgemeinen Rechtslage, was zu neuen Verwerfungen geführt hätte, sondern durch die Selbstverpflichtung des Staates und seiner Einrichtungen wie etwa der öffentlichen Museen, unrechtmäßig oder auch nur zweifelhaft erworbene Kunstschätze zu restituieren.

Wir können mit juristischen Mitteln nicht nachträglich das NS-Regime besiegen

Privatbesitz ist davon nicht betroffen, kann es nicht sein, weil dies die Rechtsordnung heillos untergraben würde, man denke nur an das Gebot der Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Wo wollte man eine Grenze ziehen? Im Privatrecht gibt es zudem Mechanismen, um den Rechtsfrieden herzustellen, mag man den Begriff im Hinblick auf Nazi-Untaten auch zynisch finden und lieber mit „Rechtssicherheit“ übersetzen. Zu diesen Mechanismen zählen Verjährung oder auch Ersitzung. Beides kann der Münchner Kunsthändlersohn womöglich fallweise geltend machen. Überhaupt ist bei der Beurteilung der 1406 sichergestellten Objekte bei jedem einzelnen mühsam und aufs Sorgfältigste zu prüfen, woher es stammt, wann und wie es erworben wurde, ob es geraubt oder „nur“ von den Nazi-Banausen aus den staatseigenen Museen zunächst sichergestellt und dann durch Gesetz enteignet wurde.

Was der Münchner Fall in all seiner Monstrosität lehrt, ist eine bittere Lektion. Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, mit Hilfe von juristischen Auseinandersetzungen im Rechtsstaat Bundesrepublik nachträglich das NS-Regime besiegen zu können. Es gibt Verbrechen, die nicht verjähren, wie Mord und Völkermord – und auch darüber gab es noch 1965 eine heftige rechtspolitische Auseinandersetzung –, und es gibt Untaten, die wir höchst verwerflich finden, die aber ohne juristischen Konsequenzen bleiben. Dazu zählt die Beschlagnahmung „entarteter Kunst“ in den deutschen Museen durch den Staat, auch wenn dieser von Nazis beherrscht war. Die Münchner Lektion ist, dass wir mit dem Erbe der Nazi-Zeit leben müssen. In den Stand der Unschuld kehren wir nie mehr zurück.

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