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Meinung: Mut und Übermut

Von Moritz Schuller

Angela Merkel will die europäische Verfassung also wiederbeleben. Schon im Frühjahr, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, will sie damit beginnen. Sie könnte also dann nach Warschau reisen, um mit Präsident Kaczynski, mit dem sie sich ja so blendend versteht, über dieses Vorhaben zu reden, und in Paris mit Jacques Chirac, der, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, all sein verschwundenes politisches Gewicht in die Waagschale werfen kann. Und auch mit Tony Blair wird sie über die Verfassung reden, Blair, der vermutlich just dann durch den europakritischen Gordon Brown ersetzt werden wird.

Wer heute sagt „wir brauchen ein Verfassung“, sucht offenbar eine politische Herausforderung. Dass Merkel den Mut hat, einer vor sich hin siechenden Europäischen Union auf die Sprünge zu helfen, ist aller Ehren wert. Die EU braucht dringend eine demokratischere Grundlage als die, die der Vertrag von Nizza liefert; die EU braucht dringend jemanden, der sich ihrer annimmt. Von Blair, der das im vergangenen Jahr groß angekündigt hatte, ist außer seiner furiosen Antrittsrede nicht viel in Erinnerung. Europa hofft auf Merkel.

Die hält vermutlich an der Verfassung fest, weil diese das Ergebnis eines langen, komplizierten Verhandlungsprozesses ist. Einmal aufgeschnürt, käme ein neues Vertragswerk nur schwer zustande – noch weniger in der machtpolitischen Übergangsphase, in der sich im Frühjahr halb Europa befindet.

Merkel bringt den Mut nicht auf, den Neuanfang zu wagen, der eigentlich gefragt ist. Denn wer heute sagt „wir brauchen eine Verfassung“, ohne zugleich eine Antwort darauf zu geben, wie mit Frankreich und den Niederlanden umgegangen werden soll, wo eben dieser europäische Verfassungsvertrag bereits abgelehnt wurde, hat aus der europäischen „Denkpause“ offenbar nichts gelernt. Der macht einfach weiter. Doch das eindeutige Votum zur Verfassung in den beiden Ländern Europas kam auch deshalb zustande, weil die Menschen nicht länger ignoriert werden wollten.

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