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My Berlin: Das Alphabet der Rezession

Kolumnist Roger Boyes über das Alphabet der Rezession von A wie Ausschalten bis Z wie Zoo.

Vor einiger Zeit schrieb ich an dieser Stelle über die Neue Sparsamkeit. Ich hielt das für notwendig, weil ich festgestellt hatte, dass die jüngere Generation keine historische Erfahrung von Versagung hat; es gab immer Kredit. Sich etwas nicht zu gönnen, ist in ihren Augen Geiz, ein durch und durch negativ besetztes Verhaltensmuster. Dabei ist der vorsichtige Umgang mit den eigenen Ressourcen eine originär bürgerliche Tugend. Einige Leser schrieben mir mit liebenswürdigen Vorschlägen, wie man sparen kann. Dank gebührt besonders jenem Bewunderer, der mir riet, meine Kolumnen als Toilettenpapier zu nutzen.

Inzwischen ist das keine theoretische Debatte mehr: Die Wirtschaft kollabiert. Wir sind wieder bei Abraham Maslows Bedürfnispyramide angekommen: Essen, Kleidung, Dach über dem Kopf, Transport. Schluss mit den 1000-Euro-Kaschmir-Pullis, her mit den Stricknadeln: Das Zeitalter der Autarkie ist angebrochen. Und bevor die Kolumne im Klo verschwindet, hier deshalb ein Alphabet des Überlebens für die kommende Rezession:

A: Ausschalten. Schalten Sie den Fernseher aus. Wir wollen keine schlechten Nachrichten mehr hören.

B: Bücherei. Warm, friedlich, Bücher umsonst. Meiden Sie Universitätsbibliotheken, Studenten nutzen die gern als Balzräume.

C: C-Klasse Mercedes. Symbol der Dekadenz. Klimakiller. Klassenfeindkarre. Gehen Sie nicht direkt dagegen vor, es ist ja nur ein Auto … Naja, dem Reifen können Sie einen Tritt versetzen.

D: Dunkelheit. Der Berliner Senat hat schnell erkannt, dass Dunkel das neue Hell ist, und lässt die Straßenlaternen dunkel oder unrepariert. Wer will schon während einer Rezession in andere deprimierte Gesichter blicken?

E: Extrawurst. Leihen Sie sich ein Kind aus, wenn Sie zum Metzger gehen, so bekommen Sie ein Extrastück Fleisch.

F: Freudenfeuer. Im Grunewald gibt es Feuerholz ohne Ende. Machen Sie ein Feuer im Garten oder unter dem unverschämt geparkten Porsche. Halten Sie sich warm. Rösten Sie einen Igel.

G: Geschlechtsverkehr. Günstigste Art, sich zu amüsieren.

H: Harald Schmidt. Verdient sich eine goldene Nase auf Kosten der Gebührenzahler. Zurück zu den Privaten, und seine Witze werden auch besser werden.

I: Imbissstube. Die Informationsbörse in der Rezession. Fragen Sie den Besitzer, ob er einen Job an der Hand hat. Hat er meistens.

J: Junge Union. Die servieren Schnittchen und Saft bei ihren Diskussionsrunden. Hingehen, essen, abhauen.

K: Körperpeeling. Warum? Warum Geld dafür ausgeben, dass einem etwas abgemacht wird, was einen im Winter warmhält?

L: Lidl. Wein vom Chateau Lidl, 20 Kerzen für 1,99 Euro. Und in der Schlange an der Kasse wird von einem ein Foto gemacht.

M: Mutti. Idealer Ort, um warm zu essen und sich auszuschlafen, während man auf einen Job wartet. Könnte Jahre dauern.

N: Notfall. Toiletten im Hotel Adlon. Durch die Lobby und nach unten. Da gibt es Stoffhandtücher und Seife umsonst. Billiger als Hans Wall oder McClean.

O: Oxfam. Füllen Sie Ihren Schrank mit gebrauchter Kleidung. Ignorieren Sie den Geruch von totem Mensch. Kaufen Sie auch Bücher und verkaufen Sie die mit Gewinn bei Ebay.

P: Plastikflaschen mit Wasser. Verboten. Berliner Leitungswasser ist das neue Evian.

Q: Quark. Mit Leinöl und Magermilch vermischen, Kartoffeln dazu. Nahrhafter als Sushi.

R: Restaurant. Gehen Sie um 23 Uhr 20 zum Hintereingang von Berlins besten Restaurants. Die schmeißen dann gutes Essen weg. Vermeiden Sie die Restaurants am Gendarmenmarkt. Die Kellner dort verdienen so wenig, dass sie das Essen selbst mitnehmen.

S: Seniorenheim. Besuchen Sie die alten Herrschaften und fragen Sie sie nach Rezepten aus der Kriegszeit. Stehlen Sie dabei die Plätzchen, die das Pflegeteam auf den Tisch gestellt hat.

T: Tomaten. Zu teuer. Pflanzen Sie die im Schrebergarten an.

U: U-Bahn. Herumliegende Zeitungen, Geldstücke hinten in der Ritze. Danach zum Fundbüro, der schwarze Schirm sei weg. Bei Ebay verkaufen.

V: Verhandeln. Das Leben ist manchmal ein türkischer Basar. Das Preisschild ist lediglich eine Einladung zum Verhandeln. Supermarkt-Geschäftsführer dürfen Preise bei Waren senken, die kurz vor Verfallsdatum stehen.

W: Weihnachten. Fällt in diesem Jahr aus. Clementinen für die Kinder, Bücher von Oxfam.

X: X-Chromosom. Je mehr Sie davon haben, desto besser. Frauen sind Kämpfer.

Y: Yacht. Leihen Sie sich eines der Boote, die an der Havel angedockt sind. Laden Sie Ihre Freunde ein, jeder bringt was mit. Billiger als St. Tropez.

Z: Zu Fuß gehen. Das neue Easyjet. Und:

Z: Zoo. In der Krise eine nützliche Quelle von Protein.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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