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My BERLIN: Putin-Land ist abgebrannt

Die Invasion in Georgien ist in Wahrheit ein Zeichen der Schwäche Russlands. Putin und Medwedew rasseln mit den Säbeln, weil sie keine anderen Außenpolitikinstrumente haben.

Russland beginnt an einem diskreten Seiteneingang in der Behrenstraße. Drinnen: lose runterhängende Leitungen, ein riesiger Spiegel, der Charme eines vierstöckigen Parkhauses. Irgendwo hinter einer Betonhöhle erreicht man die Visaabteilung des russischen Konsulats. Es riecht derart verbraucht, als sei hier seit dem Tod eines Verwandten nicht gelüftet worden. Der Verwandte ist nicht Onkel Wanja, sondern die Sowjetunion, tot und doch nicht begraben, noch nicht vollständig einbalsamiert.

Ein Mann in blauer Uniform gibt ein Formular aus. Russisches Staatsfernsehen blafft aus der Ecke. Eine füllige Frau im Trainingsanzug löst ein Kreuzworträtsel, ein zweites, ein drittes. Sie bietet eine Tasse Tee aus ihrer Thermoskanne an. Davor eine deutsche Frau, den Tränen nahe: Für jeden Besuch in Russland sei eine Einladung erforderlich, wird ihr bedeutet. „Aber ich kenne doch niemanden da“, jammert sie. „Ich möchte das Land sehen, das Volk“. Alle lachen. Sie hat nichts verstanden. Ich bin dran. Das Visum ist noch nicht bestätigt. Kommen Sie morgen wieder, oder versuchen Sie es in London.

Sicher, wenn ich die Bürokraten über mich habe ergehen lassen, werde ich irgendwann mein Visum bekommen und kann zurück nach Russland. Doch so richtig freue ich mich nicht mehr darüber. Als junger Mann war ich fasziniert von dem Land, hatte viele Freunde dort. Jetzt hat Putin meine Neugierde fast gänzlich zunichtegemacht.

Ich glaube, vielen Deutschen geht es ähnlich. Das Pendel hier schlug immer zwischen blanker Angst vor den Russen und einer romantischen Sentimentalität. Es gab einen bodenlosen Appetit auf Bücher von Gabriele Krone-Schmalz, Gerd Ruge oder Klaus Bednarz, die sich auf die Suche nach der russischen Seele machten.

Doch im Laufe der letzten Wochen haben auch die Deutschen begriffen, dass aus dem Heiligen Russland Putin-Land geworden ist – allzeit bereit, Kritiker mundtot zu machen, Nachbarn zu zerquetschen und persönliche Freiheiten einem starken Zentralstaat zu opfern. Ein paar Sozialdemokraten und PDSler mögen an der Vision eines ewig missverstandenen, verwundbaren und umzingelten Russlands festhalten, doch jeder, der Fernsehen gucken kann, sieht, dass es nicht so ist. Am 8. August konnten 1,5 Milliarden Menschen erleben, wie die Chinesen eine große Olympische Eröffnungsfeier auf die Beine stellten – die Botschaft war klar: Peking wollte demonstrieren, dass es angekommen war. Trotz aller Polizeistaatsmanöver: Es wollte ein Bekenntnis abgeben, ein relativ offener und friedlicher Spieler der Weltgemeinschaft zu werden. Und Russland? Fiel am gleichen Tag in ein Mitgliedsland der Vereinten Nationen ein, in ein souveränes Land, und begann, es zu demontieren.

Mein Problem mit vielen deutschen Russlandexperten besteht darin, dass sie dieses kriminelle Abenteuer als Beweis eines neuen, wiederauflebenden Russlands präsentieren, das bereit sei, seine Muskeln über den ganzen Erdball spielen zu lassen. Nach dieser Lesart will Russland – stark durch all sein Ölgeld – allerorts russische Minderheiten verteidigen, verlangt von seinen Nachbarn eine Pro-Moskau-Politik und besteht darauf, selbst über die Grenzen einer Nato-Erweiterung bestimmen zu dürfen. Medwedew hat das ja auch so gesagt. Ein Zeichen dafür, sagen deutsche Kreml- Beobachter, dass Russland wieder eine Supermacht werde – in einer Zeit, in der die USA mit sich selbst beschäftigt und im Irak und in Afghanistan überfordert seien.

Doch in Wahrheit ist die Invasion ein Zeichen der Schwäche Russlands. Wer keine Argumente mehr hat, wer seine Energiewaffe gegen Georgien nicht mehr einsetzen kann, braucht Panzer. Putin und Medwedew rasseln mit den Säbeln, weil sie keine anderen Außenpolitikinstrumente haben.

Neulich war ich in Sewastopol, um die Schwarzmeerflotte zu sehen. Ich nahm an, einer Großmachtflotte zu begegnen – und sah nichts als ein paar verrostete Seelenverkäufer. Russland ist ein Land im Niedergang, verkrüppelt durch die Bürokratie. Seine Öleinnahmen gehen in Misswirtschaft und ineffizienter Regierungsführung unter. Das macht Russland nicht weniger gefährlich. Und wir brauchen die Russen weiterhin, um unsere Häuser zu heizen und unsere Fabriken laufen zu lassen.

Wir müssen uns aber eine Politik ausdenken, die sich auf eine großmäulige Mittelmacht, nicht auf eine wiederauflebende Supermacht einstellt. Raketen vor Russlands Grenzen aufzustellen, ob in Polen oder sonst wo, gibt Russlands gefühlter Stärke nur einen weiteren Schub. Stattdessen sollten wir alles tun, um Russlands Nachbarn reicher und offener zu machen. Früher oder später werden auch die Russen begreifen, für die Putin Superman ist, dass ihre Führer sie immer armer machen. Putin ist kein Monster. Er hatte nur kein Glück – weil er die Chance verspielt hat, all das Öl- und Gasgeld zu verwenden, um ein Goldenes Zeitalter zu schaffen, hin zu einer besseren, moderneren Gesellschaft. Die Russen haben Besseres verdient als Wladimir Putin.

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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