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My BERLIN: Spickzettel auf dem kurzen Unterrock

Mehr oder weniger versehentlich war ich letzte Woche auf einer Abi- 2007-Party. Wenn es irgendwo auf der Welt einen Ort gibt, an dem ich mich fremd fühle, dann war es wohl auf diesem Fest.

Mehr oder weniger versehentlich war ich letzte Woche auf einer Abi- 2007-Party. Wenn es irgendwo auf der Welt einen Ort gibt, an dem ich mich fremd fühle, dann war es wohl auf diesem Fest. Vermutlich hätte ich mich bei einem Scientology-Skatturnier oder bei einer Swingerparty im Kaninchenzüchterverein Wedding wohler gefühlt. Immerhin fand ich eine einigermaßen ruhige Ecke, an der der Alkoholpegel seinen Siedepunkt noch nicht erreicht hatte und in der sich eine Diskussion über Schummeln in Prüfungen abspielte – immer schon eines meiner Lieblingsthemen.

Einer der Abiturienten hatte mit exakt der gleichen Methode zu schummeln versucht, mit der ich meine Lateinprüfung bestanden hatte: Unter dem Armband seiner Uhr hatte er einen hauchdünnen Spickzettel versteckt. Kein Lehrer hatte es bemerkt – bis ein Mädchen am Nachbartisch Notiz davon nahm, sich den Zettel griff und zu einem winzigen, unlesbaren Ball zerknitterte. Der Schummler war wütend. Doch die ganze Klasse unterstützte sie.

Als ich jung war, war das anders. Entgegen allen Erwartungen ist diese Generation ehrlicher als meine. Teilweise hat sie ja auch gar keine Wahl: Technologie, die früher Schummlern half, wird heute gegen sie verwendet. Schauen Sie sich nur den Journalismus an. Wenn ich für die „Times“ schreibe, erscheint der Artikel gewöhnlich zuerst online – 16 Stunden bevor Sie die gedruckte Ausgabe kaufen können. Während das Papier durch die Druckpressen rattert, kommentieren die Leute online bereits den Artikel – und weisen auf Fehler hin. Das ist schon irritierend. Andererseits kann es auch dazu führen, sich um noch mehr Genauigkeit und Fairness gegenüber dem Leser zu bemühen. Früher schickte ein unglücklicher „Times“-Leser einen Leserbrief an den Chefredakteur, dessen Assistent antwortete ihm eine Woche später freundlich, und das war’s. Der Tagesspiegel schickte mir Kopien von bösen Leserbriefen, ich hab sie in den Müll geschmissen. Jetzt wird jeder Schreiber innerhalb von Stunden korrigiert – vielleicht werden die Printmedien deshalb verantwortungsbewusster.

Der beste Trick, von dem ich je gehört habe, ist nicht technischer Natur, sondern nutzt den Zeitgeist. Ein Mädchen im kurzen Rock trägt einen Unterrock, auf dem ein Spickzettel klebt. Sie muss nur ihren Rock heben, um das Papier zu lesen. Jeder misstrauische männliche Lehrer setzt sich der Gefahr der sexuellen Belästigung aus, wenn er versucht nachzuforschen. Viele alte Tricks gehen noch, etwa, Ersatzstudenten in Prüfungen zu schicken. In Polen geht seit Jahren das Gerücht um, dass Lech Kaczynski seinem Zwillingsbruder die Juraprüfung abnahm. Oder die Limonadennummer. Sie machen das Etikett ab, schreiben Ihre Matheformeln auf die Rückseite und machen es wieder dran. Für eine Deutschprüfung schrieb ich ein paar Sachen in eine Kaugummipackung. Ich blieb unbehelligt, habe allerdings immer noch Probleme mit den Deutschendungen.

Am besten hat Schummeln immer mit Teamwork geklappt. Die Japaner haben eine Digitalkamera erfunden, die wie eine Uhr aussieht. Sie halten sie über die Klausur und drücken auf „Send“. Draußen kümmert sich ihr Team um die Infos. Vor ein paar Wochen wurde ein bulgarischer Medizinstudent auf einer Toilette gefunden, der mit einem Miniatur-Walkie-Talkie Kontakt zum Prüfungsraum hielt. George Bush war in der Stadt, und seine Secret-Service-Leute wunderten sich, warum ihre Frequenzen mit Informationen über die menschliche Anatomie gestört wurden. Das Antiterrorsquad verfolgte das Signal und trat die Toilettentür ein. Jetzt will er in Deutschland studieren.

Um dermaßen zu schummeln, bedarf es krimineller Energie. Die meisten Kids heutzutage haben die einfach nicht. Sie protestieren vielleicht gegen den globalen Kapitalismus, werden nass in Heiligendamm, aber im Großen und Ganzen mögen und verstehen sie die neue Welt. Als wir damals schummelten, versetzten wir dem System einen Schlag, alles war irgendwie revolutionär, ein Protest gegen hierarchische Strukturen (nicht etwa, weil wir zu faul gewesen waren). Die Schüler des Abijahrgangs 2007 denken anders. Sie fühlen sich ihrem eigenen Lernen mehr individuell verantwortlich. Selbst wenn sie so faul sein sollten, wie wir es waren – sie wollen in ehrlichen Zeiten leben. Ich finde das ziemlich furchterregend. Vielleicht können wir ihnen diesen Unsinn aus dem Kopf schlagen.

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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