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Meinung: MY BERLIN Wen die Löwen fressen

Man kann mit den armen Kakerlaken, die bei lebendigem Leib von den B-Promis in „Holt mich hier raus“ gegessen wurden, nur Mitleid haben. Es muss einen schöneren Tod geben, als im Mund von Daniel Küblböck zu landen.

Man kann mit den armen Kakerlaken, die bei lebendigem Leib von den B-Promis in „Holt mich hier raus“ gegessen wurden, nur Mitleid haben. Es muss einen schöneren Tod geben, als im Mund von Daniel Küblböck zu landen. Eine nahe liegende Verbesserung wäre es, Prominente von wilden Tieren fressen zu lassen. Das würde ich mir anschauen. Gerhard Schröder, wie immer nah am Zeitgeist, hat Olaf Scholz den Löwen zum Fraß vorgeworfen. In den kommenden Monaten wird der Kanzler, nach Müntes Vorgaben, mehr und mehr seiner Freunde dorthin schicken, wo die trostlosen RTL-Insekten hinmussten. Die Logik der Situation weist auf eine sich beschleunigende Demontage des Schröder-Hofes hin.

An der Verwirrung, die sich in Tony Blairs Gesicht eingezeichnet hat, gab es am vergangenen Donnerstag im Kanzleramt keinen Zweifel. Auch ihm zerrinnt die Macht zwischen den Fingern, auch er leidet an seiner sinkenden Popularität. Aber die Lehre aus Großbritannien ist klar: Wenn man radikale Reformen durchsetzen will, konzentriert man Macht, man verteilt sie nicht. Wäre er in Schröders Situation gewesen, Tony Blair hätte Roland Berger zum SPD-Vorsitzenden gemacht. Die SPD braucht keinen Sozialkonservativen wie Müntefering an ihrer Spitze. Sie braucht jemanden, der der Mittelschicht glaubwürdig vermitteln kann, warum sie zu den Hauptopfern von Clements und Schröders halbherzigen Reformen gehört. Geht die Mittelschicht flöten – und das passiert gerade in Deutschland –, dann geht Deutschland flöten. Man muss sich nur anschauen, wen es wirklich trifft. Die Putzfrauenregelung wird alle Frauen mit einem Job treffen: Kindermädchen, Babysitter, die, die die Alten waschen, füttern und umsorgen.

Jeden Morgen um acht, wenn ich mit meinem Hund Gassi gehe, laufen an mir Ukrainerinnen und Russinnen vorbei auf dem Weg zu den wohlhabenden Häusern unserer Straße. Ein kleiner, illegaler Lohn für eine Generation von Frauen, die sonst zu Hause bleiben müssten. Und das Geld, das in die Ukraine geschickt wird, wird sicher für die Ausbildung der Kinder dort verwendet.

Durchgehend treffen die Reformen die aufgeklärte, bürgerliche Frau. Eine Mutter mit zwei Kindern in einer Kita zahlt dafür 600 Euro im Monat. Das Abschaffen der Pendlerpauschale trifft sicher nicht die Reichen und den Gewerkschafter. Hat diese Regierung den Hausbau erleichtert? Ich denke nicht.

Hier ist die Lehre aus Großbritannien: Die erfolgreichsten Premiers, Thatcher und Blair, sahen ihre Felle davonschwimmen, als sie das Vertrauen der Mittelschicht verloren. Thatcher versuchte eine Gemeindesteuer einzuführen, die alle Hausbesitzer traf; Blair versuchte Studiengebühren einzuführen und verlor trotz einer Mehrheit von 160 Abgeordneten fast die Abstimmung. Das – nicht Irak oder Euro – wird in die Geschichtsbücher als der Moment seines Untergangs eingehen.

Schröder scheint die Regierung in einen Beschleunigungsfaktor für die deutsche Politik verwandeln zu wollen – nicht behindert von der Partei. Müntes Job ist der des Hauptkurators für das Museum, der die Partei überflüssig macht. Aber das wird natürlich nicht funktionieren. Wer sind die 14 Prozent, die von der SPD zur CDU gewandert sind? Die Kita-Mütter, die Frauen, auf deren Schultern die Versorgung für die alten Eltern lastet, die Hausbauer, die Pendler: Mitteldeutschland.

Beim Arzt hörte ich vor einigen Tagen eine Frau sagen: „Herr Doktor, ich kann es mir nicht leisten, krank zu sein.“ Der Satz ist im ganzen Land zu hören. Pensionäre, die es sich nicht leisten können, alt zu sein, Frauen, die es sich nicht leisten können, Mütter zu sein, Studenten, die es sich nicht leisten können, Studenten zu sein. Vielleicht sind diese Ängste übertrieben. Aber die Aufgabe einer politischen Führung liegt darin, verunsicherten Bürgern einen Zugang zur Zukunft zu vermitteln. Zurzeit scheint der Kanzler mehr mit seiner eigenen Zukunft beschäftigt. Das ist das falsche Prinzip.

Der Autor ist Korrespondent der britischen Tageszeitung „The Times“. Foto: privat

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