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My BERLIN: Wie aus Berlin eine Ferienwohnung wurde

Ohne Tourismus wäre Berlin wie Detmold. Wir alle müssen ihm deshalb zu Diensten sein. Politisch ist es deshalb nicht korrekt, wenn man erwähnt, dass Berlin von einer Ferienwohnungisierung heimgesucht wird.

Es ist wie immer in dieser Jahreszeit: Junge Japanerinnen sitzen kichernd bei Starbucks. Britische Teenager kreischen im Oberdeck der Linie M 19, jedes Mal, wenn der Bus einen Ast streift. Und italienische Frauen mit goldfarbenen, klappernden Armreifen halten mir ihren Stadtplan unter die Nase. Sie schmiegen sich so eng an mich, dass ich gleich prüfe, ob das Portemonnaie noch da ist. Die Touristen sind wieder in der Stadt! (Das Portemonnaie wurde nicht gestohlen – ich sollte mich dafür schämen, so misstrauisch zu sein.)

Aber es wäre nicht angebracht, sich zu beschweren. Der Tourismus ist der einzige ernst zu nehmende Industriezweig in Berlin. Wir alle müssen ihm zu Diensten sein. Ohne Tourismus wäre Berlin, nun ja, wie Detmold. Politisch ist es deshalb nicht korrekt, wenn man erwähnt, dass Berlin von einer Ferienwohnungisierung heimgesucht wird. Aber die Orte, die sich durch zusammengewürfeltes Besteck und Ikea-Vorhänge auszeichnen, schießen wie Pilze aus dem Boden.

Etwa 17 Millionen Menschen übernachten hier jedes Jahr in Hotels und Pensionen. Und mindestens 750 000 schlafen in privat vermieteten Wohnungen – die Zahl steigt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Bankberater ihre Kunden in guten Zeiten – so 2006 oder 2007 – dazu drängten, in Plattenbauten zu investieren, und ihnen unermesslichen Reichtum versprachen.

Man kann sich diese Gespräche so vorstellen:

Kundenbetreuer: „Legen Sie Ihr Geld in Zement und Ziegelsteinen an. Das ist immer sicher!“ – „Aber was passiert bei einer Rezession, wenn die Eigentumspreise fallen?“, fragt der beunruhigte Anleger. „Und was ist mit dem deutschen Mietrecht? Da wird man die Mieter doch nie mehr los.“ – Der Bankmanager seufzt: „Glauben Sie mir, Herr Boyes: Eigentum gewinnt immer an Wert. Berlin ist sexy! Und Sie können immer noch an dämliche Touristen vermieten, das ist eine Gelddruckmaschine.“

So kam Berlin zu Tausenden von Hobbyspekulanten, die dachten, sie könnten den großen Reibach machen, ohne investieren zu müssen. Kein Aufzug? Ach was, Australier lieben es, Treppen hochzurennen! Verdreckte und undichte Fenster? Kein Problem, einfach an Clubgänger vermieten, die den ganzen Tag schlafen! Und die tote Maus, die unter dem Kühlschrank schon zu riechen beginnt? Nur Ruhe – die Mieter sind in zwei Wochen wieder weg! Wichtig ist nur, dass die Ferienwohnung gut an die BVG angebunden ist. Und dass sie einen Blick auf die Berliner Skyline zu bieten hat.

Die Wilhelmstraße ist deshalb zur Goldküste des Berliner Ferienwohnungsgewerbes geworden – mit direktem Blick auf Führerbunker und Holocaust-Mahnmal, in Laufweite zu Reichstag und Brandenburger Tor. Was will man mehr?

Dafür verschwindet dort etwas anderes: der Nachbarschaftsgeist. Der israelische Journalist Daniel Dagan wohnt in einem dieser Häuser. Er berichtet von nächtlichen Partys, von Müllsäcken in den Gängen, von Touristen, die Sturm klingeln. Doch es geht um mehr als das: Es gibt nur wenige Straßen in Berlin, die eine ähnlich eindrucksvolle Geschichte vorzuweisen haben. Die Wilhelmstraße war das Zentrum der Macht, wurde von den Alliierten bombardiert, dann von Ostdeutschen plattgemacht. Schließlich wurden dort exklusiv Mehrfamilienhäuser für ostdeutsche Promis errichtet.

Wirklich lebendig wurde es auf der Straße erst nach der Wende. Es zogen Treuhand-Manager ein und Wendepioniere. Sie lebten neben den ehemaligen Stars der DDR. Günter Schabowski holte sich seine Zeitungen dort, Kati Witt saß in der Pizzeria – daneben Birgit Breuel und Angela Merkel (als West-Politikerin). Zum ersten Mal wurde aus der Wilhelmstraße ein Kiez. Es war ein Beispiel dafür, wie Geschichte ausradiert werden kann und sich Menschen trotzdem etwas Neues schaffen.

Jetzt verschwindet dieses Gefühl. Dabei wäre es gar nicht so schwierig, dem etwas entgegenzusetzen – zum Beispiel, indem man die Zahl der Ferienwohnungen in Wohnblocks begrenzt. Aber dafür müsste man ein Gefühl für Geschichte entwickeln – und für die älteren Berliner. Ich bin da nicht sehr optimistisch. In fünf Jahren werden 85 Prozent der Berliner nicht mehr wissen, was es mit der Wilhelmstraße auf sich hatte. Die Geschichte wird abgestreift. Aber wen kümmert’s? Bis dahin wird Knut einen Nachkommen gezeugt haben und die Touristen werden weiterhin kommen – eine Welle nach der anderen.

Aus dem Englischen übersetzt von Fabian Leber.

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