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My Berlin: Wie man unter Deutschen nicht auffällt

Warum legen Männer hierzulande die Uhr beim Sex ab? Auf der Suche nach Lösungen auf die Rätsel des deutschen Lebens.

In einer Kneipe in der urbanen Wüste hinter der Frankfurter Allee erhielt ich eine Lektion in Geopolitik. Der Laden war ein Tipp von meinem Lottoscheinverkäufer Horst, ein Mann, der sich auskennt in der Welt. (Warum spielen Lottoscheinverkäufer eigentlich nie selbst Lotto?) Früher war Horst Kellner in Greifswald und grollt mir, seitdem ich einmal abfällig über die Berliner Gastronomie geschrieben habe. Er meckert ständig, aber ich ertrage es, weil a) ich Engländer bin, b) er mir möglicherweise einmal den Lottoschein verkauft, der mein Leben ändert, und c) ich im Januar nach Greifswald muss und alle Vorabinformationen gebrauchen kann, die es nur gibt. Aus irgendeinem Grund hat mein Verleger für mich eine Lesereise organisiert, die an alle Atomorte dieses Landes führt. Ich freue mich besonders auf Gorleben.

Aber was weiß Horst wirklich über Greifswald? Nach der Wende machte er sich aus dem Staub, und ich bin sicher, dass aus der Stadt inzwischen das Bad Oeynhausen des Ostens geworden ist, nett und freundlich zu Fremden. Er weiß jedoch, was aus seinen Gastronomiekollegen von damals geworden ist, sie haben einen Stammtisch in jener Kneipe, dessen Namen ich hier nicht nennen darf. Was die Madeleine für Proust war, ist für diese Männer das Paprikaschnitzel. Und zwar ein von dem DDR-Fernsehkoch Kurt Drummer zubereitetes Paprikaschnitzel.

Was ist aus den DDR-Kellnern geworden? Jenen Profis, die einen warten ließen, obwohl das Restaurant leer war wie ein verlassenes Schiff? Für die müsste es doch eine Aufgabe geben. Allein wegen ihrer Schauspielkünste, mit der sie ein Humpeln vortäuschten, damit der Broiler oder die Fischsoljanka bloß nicht warm am Tisch ankommen. Ich machte mich also auf den langen Weg und weiß jetzt, dass DDR-Kellner andere Jobs gefunden haben. Mehr sage ich nicht, sonst kaufen Sie mein neues Buch „How to be a Kraut“ nicht, das dieses und andere Rätsel löst. Nur so viel: Geopolitik spielt dabei eine Rolle. Und: Es gibt nicht nur einen Grund dafür, dass die Menschen in Nordkorea hungern.

Das Buch ist aus einem Albtraum entstanden. Ich wachte einmal schweißgebadet auf, und der Albtraum ging ungefähr so: Ich bin plötzlich kein Engländer mehr (und damit auch kein glücklicher EU-Bürger), sondern ein Chinese, der illegal nach Berlin eingeschleust wird. Ich bin in einem Laster und kriege kaum Luft. Irgendwann hält der an, und ich finde mich auf dem Los-Angeles-Platz wieder – jenem Stück Rasen, der auf einer Tiefgarage wächst. Ich schnappe nach Luft und sehe ein Schild, das mir das Betreten des Rasens verbietet. Und noch eines, das Eisessen verbietet. Oder Hunde. Oder Musik. Oder Rollschuhlaufen. Dann setze ich mich auf eine Bank und lege den Kopf in die Hände: Wie soll ich es je schaffen, hier als Deutscher durchzukommen?

Als ich wieder aufgewacht war, beschloss ich, einen Reiseführer für illegale Einwanderer zu schreiben. Der Verleger dachte 30 Sekunden lang nach und entschied dann, dass das schlechter Geschmack wäre. „Ja“, rief ich enthusiastisch, „genau!“ Nach einigem Nachdenken kamen wir zu dem Schluss, dass das wahre Problem nicht der Chinamann ist, sondern die Deutschen: Die brauchten Nachhilfe im Deutschsein. Außerdem sind es natürlich die Deutschen, die Bücher kaufen und nicht die chinesischen Einwanderer (ich habe aber große Hoffnungen für die chinesische Auflage).

Ich machte mich also daran, einige der Rätsel des deutschen Lebens zu lösen. Nicht nur das geheimnisvolle Schicksal der DDR- Kellner aufzudecken, sondern auch zu beantworten, warum Deutsche es unhygienisch finden, wenn jemand mit Badehose in die Sauna geht, warum deutsche Männer ihre Uhr vor dem Sex ablegen, warum nur ein Deutscher für die Tätigkeit eines Stauberaters infrage kommt und worin der Unterschied zwischen einem Baumarkt-Mann und einem Ikea- Mann besteht.

Ein ungarischer Autor, George Mikes, nahm sich als ähnliches Projekt 1946 die Briten vor: Das Buch hieß „How to be an alien“ und kam auf der Insel nicht besonders gut an. Am meisten störte man sich damals an der Einschätzung, die Briten zögen eine Wärmflasche dem Sex vor. Das lag natürlich nur daran, dass wir damals mit offenem Fenster schliefen. Wir haben inzwischen die Zentralheizung entdeckt und sind längst die Sexfetischisten Europas.

Mikes bestraften wir, indem wir ihn einbürgerten. Er hat sich davon nie erholt. Davor habe ich keine Angst, ich glaube nicht, dass ich den Test bestehen würde, bevor ich alle meine Telefonjoker verbraucht hätte. Mehr als mich zu tarnen, ist nicht drin. Und davon handelt ein faszinierendes neues Buch mit dem Titel – hatte ich ihn schon erwähnt? – „How to be a Kraut“.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller. Roger Boyes liest am 6. Dezember im Tagesspiegel-Salon aus seinem Buch. Mehr unter: www.tagesspiegel.de/salon

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