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My BERLIN: Wir brauchen die zwanghaften Schwaben

Einer meiner Neujahrsvorsätze – von denen, die nichts mit Sex zu tun hatten – war, dass ich aufhören wollte, mich über die Berliner zu beschweren. Und bis jetzt habe ich mein Wort gehalten.

Einer meiner Neujahrsvorsätze – von denen, die nichts mit Sex zu tun hatten – war, dass ich aufhören wollte, mich über die Berliner zu beschweren. Und bis jetzt habe ich mein Wort gehalten. Aber Rassismus geht nicht, dazu muss man etwas sagen: Vergangene Woche bekam ein schwäbischer Freund von mir, Brokka, einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem „Blockwartsschwaben, geht nach Hause“ stand. Das war in der Oderbergerstraße, und dann denkt man, gut, Schwabenhass ist eine alte Tradition in Prenzlauer Berg. Im Sommerloch 2008 tauchten überall diese ironischen Schilder auf, „Stuttgart-Sindelfingen 610 km – Ost-Berlin wünscht gute Fahrt!“. Aber innerdeutscher Rassismus bleibt. Wenn Berlin als Metropole ernst genommen werden will, sollte es aufhören, sich zu benehmen, als sei es Asterix’ Gallier- Dorf, belagert vom Rest der Welt.

Ich weiß wohl, dass Prenzlauer Berg sein ganz eigenes Problem hat: einen Bevölkerungsaustausch von 50 Prozent zwischen 1996 und 2000; heute von fast 80 Prozent. Unter diesem „Problem“ – reiche Zugezogene, die in Immobilien investieren – scheint die ganze Stadt zu leiden.

Klar ist es leicht, Witze über Leute zu machen, die sich pastellfarbene Kaschmirpullis um den Hals binden, dazu Chinos oder enge Jeans tragen, über die ganze Latte-Macchiatoisierung der Stadt. Nicht jeder, Gott sei Dank, möchte so aussehen wie Guido Westerwelle. Aber Berlin muss verstehen, dass es reiche Leute braucht, vor allem reiche Leute, die Geld ausgeben. Und da es fast unmöglich ist, in Berlin reich zu werden, müssen diese Leute eben von außen kommen. Andere Städte haben das längst verstanden. Als junger Mann lebte ich in Islington in London, weil es billig war, zentral gelegen und die für viktorianische Arbeiter gebauten Häuser hohe Decken hatten. Dann wurde die Gegend gentrifiziert – junge Anwälte wie Tony Blair und Cherie Blair zogen dorthin, die Mieten gingen durch die Decke –, und ich zog weiter nach Osten, nach Hackney, und fünf Jahre später passierte das Gleiche dort wieder. Im Allgemeinen sehen die Londoner darin eine positive Entwicklung: Die Straßen werden sauberer, die Schulen werden besser, die Drogenabhängigen werden aus den Parks vertrieben und die Hundescheiße wird aufgesammelt. Auch wenn die Neuen bisweilen ein wenig anstrengend sind – das ist der Preis für eine schöne Nachbarschaft.

Die Berliner Logik lautet dagegen: Wir sind arm, aber wir sind stolz, arm zu sein, weil das authentischer ist, und wir müssen uns treu bleiben. Arm zu sein, macht uns interessant; neureich zu sein, ist spießig und unkreativ. Unordnung ist eo ipso der Ordnung überlegen. Wenn der Zugezogene das nicht mag und sich nicht anpassen will, soll er gefälligst zurück nach Stuttgart gehen.

Ich weiß nicht, ob es noch jemanden gibt, der die schwäbische Version von Barack Obamas Siegessäulen-Rede nicht kennt. („Was mi echt nervt isch des Thema Fahrräder abstelle im Hausgang. Bei uns stellt jeder Daggel grad wie’s ihm passt sein’ Drahtesel in’ Hausgang nei, trotz Verbotsschild …“: http://www. youtube.com/watch?v=Hs0F8dwa 1Ak.)

Das ist es offenbar, was den angeblichen Ureinwohner von Prenzlauer Berg stört: nicht nur, dass Stuttgarter Öko-Imperialisten sind, die den unschuldigen Nachbarn überteuerte Bioläden aufzwingen, dass sie die Mieten nach oben treiben, sondern dass sie jenes Regelsystem errichten, das in den zwanghaften Dörfern Südwestdeutschlands ausgebrütet wurde. Früher einmal bestand Freiheit in Berlin aus einer freien Presse, hellen Lampen in gefüllten Geschäften und Pink-Floyd-Konzerten, die jenseits der Mauer von versklavten Ost-Berlinern gehört werden konnten. Heute besteht Freiheit darin, dass man sein rostiges Fahrrad in den Gang stellen darf, ohne Ärger mit den Nachbarn zu bekommen.

Berlins Charme und Kraft beruht auf den Einwanderunsgwellen aus Schlesien, Anatolien, Odessa. Die meisten Nachkommen der im 19. Jahrhundert aus Polen Eingewanderten halten sich heute für waschechte Berliner. Heute kommen die Immigranten aus dem Schwabenland. Sie lassen ihre Heimat nicht (wie in der Vergangenheit) wegen deren ökonomischer Trostlosigkeit zurück. Sie finden Berlin vielmehr sexy. Wir sollten dankbar sein, dass es noch immer Menschen auf der Welt gibt, deren Libido angeregt wird durch den Anblick von Hundehaufen auf dem Trottoir. Die Schwaben sind naiv, geschenkt. Aber was ist aus der Urberliner Tradition der Toleranz geworden? Lassen wir uns durch die Schwaben bereichern, durch ihre Maultaschen, ihre Häuslebauer-Mentalität, ihren Ordnungssinn. Diese Stadt kann alles drei gut gebrauchen.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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