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In Trauer: Ihre kalifornische Universität gedenkt der Studentin Nohemi Gonzalez, die ein Semester in Paris verbringen wollte und am Freitag bei den Attentaten umgebracht wurde.

© Jonathan Alcorn/Reuters

Nach den Anschlägen in Paris: Ruhig bleiben und weitermachen

Die Terroristen wollen Krieg Den Gefallen sollten wir ihnen nicht tun. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Er ist wieder da. Sofort war er da. Er ist nämlich nie wirklich lahmgelegt, dieser Reflex, das Fremde, die Fremden für die Quelle alles Schrecklichen zu halten. Während das Entsetzen über den Massenmord von Paris die einen noch sprachlos ließ, während man noch so wenig wusste, schwätzten andere schon wieder los: Aha, ein angeblich syrischer Flüchtling unter den Attentätern, wussten wir’s doch. Grenzen dicht, Problem gelöst.

Die soeben dekretierten Grenzen für den Nachzug der Familien syrischer Flüchtlinge erhalten im Nachhinein die Weihe kluger Vorausschau, bei der jetzt nationalkonservativ regierten Nachbarin Polen wird die verquaste Logik sogar offizielle Politik; die Erkenntnisse der französischen Sicherheitsbehörden müssen als Rechtfertigung dafür herhalten, dass man nicht einmal die wenigen Flüchtlinge aufzunehmen bereit ist, die Polen auf dem EU-Gipfel zähneknirschend akzeptiert hatte. Und auf dem Parteitag von Sachsens CDU am Samstag durfte ein Delegierter das Morden von Paris als Höhepunkt des Flüchtlingszustroms bezeichnen. Unwidersprochen.

Okzident gegen Orient, das hätten sie gern

Dass die, die nach Europa fliehen, selbst vor dieser Art Terror fliehen, dass Menschen im Nahen Osten auch nach Paris noch die sind, die die Gewalt derer am stärksten trifft, die ihre Morde mit dem Ruf „Allahu akbar“ zu rechtfertigen suchen: Das wird in dieser Sicht der Welt ausgeblendet. Auch dass ein durchaus säkulares Regime in Damaskus unendlich mehr Landsleute massakriert als die Mörderbande IS. Die Kommunikationswissenschaft hat dafür das schöne Wort der Rahmung gefunden. Was nicht ins Bild passt, wird einfach weggeschnitten, die Welt ist wieder so, wie die eigene Vorstellung sie will.

Dabei ist Paris ein neuer, noch dringenderer Grund, über diesen morschen alten Rahmen hinauszuschauen. Drin zu bleiben, hieße, das Spiel der Serienmörder mitzuspielen, die genau jenen „Krieg“ wollen, den Frankreichs Staatspräsident ihnen erklärt hat: Okzident gegen Orient, wir gegen die, das christliche Abendland, die „Kreuzfahrer“, wie sie in der Brachialrhetorik der islamistischen PR-Abteilungen heißen, gegen den wahren Gott. Jenseits politischer Zwecke dürfte Hollandes Kriegserklärung auch narzisstisch befriedigend für jene Jünglinge sein, die womöglich schon auf dem Weg sind, den Attentätern jenes Freitags zu folgen und ihre oft tristen Lebensläufe mit dem Status des Gotteskriegers zu veredeln.

Für den Widerstand der Bürger

Warum eigentlich erklärt uns nicht einmal ein Kenner der Militärgeschichte, wie oft es klüger ist, den Feind auflaufen zu lassen, seine Erwartungen zu enttäuschen, als ihm die gewünschte Schlacht zu liefern? Eine Schlacht nebenbei, deren Ausgang mehr als unsicher ist und deren Waffen – mehr Überwachung, mehr Misstrauen, neue furchterregende Wolkenkratzer für die „Sicherheitsarchitektur“ – in der Vergangenheit schon bewiesen haben, wie wenig scharf sie sind und am besten geeignet, kaputt zu machen, was sie angeblich schützen wollen, Rechtsstaat und Freiheit.

„Keep calm and carry on“, ruhig bleiben und weitermachen, die großartige Parole einer 1939 geplanten Kampagne der britischen Regierung, wurde nie gedruckt. Aber sie wurde befolgt. Und begründete den Mythos des zivilen, ebenso unspektakulären wie hocheffektiven Widerstands des Landes gegen die Nazi-Aggression.

Ruhig bleiben und weitermachen, das müsste heißen: an einer vielfältigen Gesellschaft weiterbauen, Schulen und Arbeitsmarkt für die Flüchtlinge öffnen, die eigenen Werte nicht gegen vermeintlich Fremde wenden, sondern sie offen formulieren. Und, natürlich, Menschen die in Europa leben, nicht das Menschenrecht auf ein Familienleben nehmen. Oder ist die „klassische Familie“, die auf konservativen Demos in Deutschland und anderswo so feurig verteidigt wird, nur ein Recht der Alteingesessenen?

Die Mittel des Polizeistaats sind keine

Keep calm and carry on: Marc Trévidic, ein Richter, der zehn Jahre lang in der französischen Antiterrorkommission arbeitete, hat den Wert solchen bürgerlichen Widerstands gerade erneut betont – und die Aussichtslosigkeit von Prävention mit den Mitteln des Polizeistaats: „Der Ausweg ist, an den Ursachen zu arbeiten, gegen Radikalisierung und islamistische Ideologie. Das wird zehn bis fünfzehn Jahre brauchen.“

Zu lange? Wir haben keine andere Wahl. Die Einwanderungsgesellschaft muss endlich „Mehr Demokratie wagen“, die Rechte der seit Generationen Ansässigen Schritt für Schritt auch den Neuen geben. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit für alle: Eine dramatischere Niederlage ließe sich dem IS kaum beibringen.

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