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Vorbildlich: Familienausflug mit Helm.

© dpa

Nach Gerichtsurteil: Fahrradfahren ohne Helm: Selbst schuld

Die Teilschuld, die einer Radfahrerin wegen fehlendem Fahrradhelm von einem Gericht gegeben wurde, könnte ein Wendepunkt sein. Jost Müller-Neuhof meint: Die Opfernummer der Tretmüslis von einst zieht nicht mehr.

Es ist ein ängstlich machendes Szenario, das in einem neuen Urteil des Schleswiger Oberlandesgericht vom Miteinander auf den Straßen entworfen wird: „Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden.“ Noch ängstlicher allerdings machen die Schlüsse, welche die Richter daraus ziehen: Bei Unfällen treffe Radler ein Mitverschulden an ihren Kopfverletzungen, wenn sie keinen Helm getragen haben (Az.: 7 U 11/12). Auf 20 Prozent bemaßen sie dies für eine Frau, die eine plötzlich aufschwingende Autotür zu Boden gerissen hatte; schwere Schädel-Hirn-Verletzungen und zwei Monate Krankenhaus waren die Folge.

Die Radlerlobby protestiert, die Klägerin geht in die Revision. Nachvollziehen kann man das wohl. Wenn Radler, die gleichberechtigte Teilnehmer am Straßenverkehr sind, als „störende Hindernisse“ qualifiziert werden – sollen sie auch noch selbst dafür zahlen, wenn Autofahrer sie auf die Hörner nehmen? Ein Urteil für Zyniker?

Experten: Ein Fahrradhelm ist besser als keiner

Doch es verändert sich etwas im Miteinander auf den Straßen, und der Richterspruch wird dem gerecht. Fraglos sind Radler die Schwächeren. Schwächer zu sein bedeutet aber nicht, schutzlos zu bleiben. Darin sind sich die Experten einig, ein Fahrradhelm ist besser als keiner. Es wäre auch falsch, aus dem Fehlen einer Helmpflicht den Ausschluss eines Mitverschuldens abzuleiten. Das Zivilrecht kann bei gesellschaftlichen Entwicklungen schneller sein als das öffentliche Recht. So war es auch bei der Helmpflicht für Motorradfahrer. 1965 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) einem Zweiradführer eine Teillast an seinen Verletzungsfolgen aufgebrummt, obwohl er für den Unfall nichts konnte. Erst zehn Jahre später gelangte die Helmpflicht in die Straßenverkehrsordnung. Zugleich mit der Gurtpflicht. Hier war es übrigens umgekehrt: Erst reagierte der Verordnungsgeber, dann folgte der BGH.

Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.
Jost Müller-Neuhof ist rechtspolitischer Korrespondent des Tagesspiegels. Seine Kolumne "Einspruch" erscheint jeden Sonntag auf den Meinungsseiten.

© Kai-Uwe Heinrich

Das Urteil ist keine Kampfansage an Kampfradler; es fällt in eine Zeit, in der Radler vor allem deshalb als „störende Hindernisse“ gesehen werden, weil sie zunehmend Raum für sich und ihre schnelleren oder elektrisch beschleunigten Gefährte beanspruchen, ihre Verkehrsrechte durchsetzen und zugleich ökomoralische Vorteile ausspielen können; schließlich haben sie auch noch aktuelle Lifestyle- und Trendideale auf ihrer Seite.

Die Opfernummer der Tretmüslis von einst zieht nicht mehr. Mit den Ansprüchen jedoch wächst die Verantwortung, auch die für sich selbst. Auf den Skipisten gab es, ganz ohne Vorschriften, den Helm-Wendepunkt 2009, als der damalige Ministerpräsident Thüringens Dieter Althaus eine Frau totfuhr. Auf den Straßen passiert so etwas täglich.

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