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Matthias Platzeck an einem Konferenztisch.

© dpa

Nach Rücktrittserklärung: Was bleibt vom Osten - ohne Matthias Platzeck?

Matthias Platzeck wurde stark mit dem Osten identifiziert. Nachdem der brandenburgische Ministerpräsident seinen Rücktritt angekündigt hat, sehen manche damit zugleich selbigen untergehen. Doch die Sorge ist unberechtigt, meint Matthias Schlegel.

Von Matthias Schlegel

Kaum ein aktiver deutscher Politiker wurde und wird mit dem Begriff Ostdeutschland so stark identifiziert wie Matthias Platzeck. Jetzt, nachdem der brandenburgische Ministerpräsident seinen Rücktritt angekündigt hat, sehen manche damit zugleich Ostdeutschland untergehen – als lobbybedürftiges Interessensgebiet, als politikstilprägenden Nährboden, als bedenkenswerte Erinnerungslandschaft. Was bleibt also vom Osten ohne Matthias Platzeck?

Die Sorgen sind gänzlich unbegründet. Ja, sie führen in die Irre. Und damit sollen keinesfalls Platzecks Verdienste geschmälert werden: bei der Stärkung des Selbstwertgefühls der Ostdeutschen, beim Verstehen-Lernen zwischen Ost und West, bei den moralischen und fiskalischen deutsch-deutschen Kleinkriegen. Mehr als die heutige Kanzlerin, die viel zu schnell in gesamtdeutsche Verantwortung gekommen war, als dass sie sich als Anwältin des Ostens hätte profilieren können, haben Leute wie Wolfgang Thierse und eben Matthias Platzeck diese Aufgabe ausgefüllt.

Der homo politicus aus dem Osten

Kaum ein anderer außer diesen beiden – bestenfalls noch die Thüringerin Katrin Göring-Eckardt von den Grünen – wird seit 23 Jahren ungebrochen als homo politicus aus dem Osten wahrgenommen und akzeptiert. Das ist, neben vielem anderen, ein Wert an sich. Denn es sind von denen, die damals die DDR aus den Angeln hoben, bekanntlich nicht viele hineingestiegen ins Haifischbecken der bundesdeutschen Politik. Und übrig geblieben sind noch viel weniger. Das hatte auch damit zu tun, dass sich viele, die in einem winzigen historischen Zeitfenster prominent wurden, allein für eine demokratisierte, reformierte DDR exponiert hatten. Von der Wiedervereinigungswoge wurden sie überrollt.

Nein, Ostdeutschland wird ohne Platzeck nicht untergehen. Längst sind an die Stelle dieses ominösen Gebildes mit Mitleidsbonus fünf selbstbestimmte und selbstbewusste Länder getreten. Sie machen seit geraumer Zeit – dank großzügiger langfristiger Transfers – in diesen und jenen Kennziffern den westdeutschen die Spitzenpositionen streitig. In gleichem Maße, wie „das Ostdeutsche“ als Mentalitäts- und Sozialisierungshintergrund verblüht, gedeiht der Wettbewerb der Regionen auf Augenhöhe. Oder kennt noch jemand den derzeitigen Ostbeauftragten der Bundesregierung? Christoph Bergner heißt er, war für die CDU einmal, in grauen Vorzeiten, Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Kürzlich hat er gewisses Aufsehen erregt, als er sich dafür einsetzte, den Solidaritätszuschlag noch zehn Jahre beizubehalten. Und hat womöglich damit am schlagendsten bewiesen, dass sich der Job überlebt hat.

Ostdeutschland geht nicht unter

Platzecks Vorgänger, Manfred Stolpe, war ein Ostdeutscher – und was für einer. Platzecks Nachfolger, Dietmar Woidke, ist ein Ostdeutscher. In vier von fünf Ost-Bundesländern regieren einheimische Ministerpräsidenten und der fünfte, Erwin Sellering in Schwerin, ist ostdeutscher geworden, als mancher Ostdeutsche es je war. Ostdeutschland als Wirtschafts- und Lebensraum geht nicht unter – es sei denn in der Normalität der föderalen Strukturen. Und „das Ostdeutsche“ bleibt ein ungeheuer reichhaltiger Erfahrungshorizont des geeinten Deutschlands, in dieser und in jener Hinsicht.

Gewiss, das alles will gepflegt und gehegt sein. Aber es hat mit Vergangenheit, mit Erbe zu tun. Und dafür gibt es – denkt man nur an die vielgestaltigen Erinnerungs- und Aufarbeitungsinitiativen – genügend kompetente, durchaus gut ausgestattete Nachlassverwalter.

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