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Meinung: Nachkarten bringt nichts

Eine Strategie für die Weltwirtschaft – darum geht es beim G-8-Treffen Von Hans-Dietrich Genscher

Der G8-Gipfel von Evian wird für alle Beteiligten zum Prüfstand werden für ihre Bereitschaft, globale Verantwortung zu übernehmen. Die Weltlage erlaubt es nicht, dass persönliche Gefühle die Oberhand gewinnen über die globale Verantwortung, der sich die Gipfelteilnehmer zu stellen haben. Der Hoffnungsschimmer, der die Welt aus dem Nahen Osten erreicht, zeigt, wozu kooperatives Handeln fähig ist, insbesondere wenn dabei die Vereinten Nationen und – wichtig für das europäisch-amerikanische Verhältnis – die EU zur Geltung kommen. Das Nahost-Quartett – USA, Russland, die Vereinten Nationen und EU – gibt den Vorstellungen für eine Friedenslösung eine breite internationale Unterstützung. Die wird man brauchen, denn gerade in dieser Frage liegen die Probleme nicht nur im Detail, sondern auch im Grundsätzlichen. Dennoch, ein Anfang ist gemacht. Andere Probleme aber warten noch auf kooperative Antworten.

Die Wachstumsschwäche der Weltwirtschaft ist ein globales Problem. In Evian werden die weltwirtschaftlichen Akteure beieinander sitzen, die durch eine abgestimmte Strategie gegensteuern können. Das betrifft vor allem die USA, die EU und Japan. Das Gleiche gilt für die gemeinsame Verantwortung der Industriestaaten des Nordens für die Öffnung ihrer Märkte für die Produkte der Dritten Welt. Und natürlich darf niemand an der Entwicklung in Afrika, in Sonderheit am Kongo, vorübergehen.

Das, was man die Irakkrise nennt, war ganz gewiss nicht das Verschulden nur einer Seite. Aber die Folgen treffen alle. Das wird täglich offenkundiger. Offenkundiger wird auch: Europäer und Amerikaner brauchen einander. Das gilt für beide Seiten des Ozeans.

Die Gipfelstürmer von Evian sollten nüchtern die Konsequenzen der Irakkrise, aber auch die Erwartungen der Staatengemeinschaft an dieses Treffen analysieren. Erfolg oder Misserfolg von Evian sollte danach bewertet werden, ob die globalen Herausforderungen erkannt und ob entsprechend gehandelt wird. Nichts wäre der internationalen Entwicklung abträglicher als das Abmessen des Händedrucks der Teilnehmer untereinander nach Sekunden und die Dauer möglicher bilateraler Begegnungen nach Minuten.

Das G-8-Treffen war eine deutsch-französische Initiative, gegen niemanden gerichtet, aber auf abgestimmtes Verhalten der engsten globalen Partner, nämlich der Europäer, der Amerikaner und der Japaner, ausgerichtet. Mit zunehmender Überwindung der Spaltung Europas und der Veränderungen in Moskau konnte Russland hinzutreten.

Die entstehende multipolare Weltordnung wird den Zutritt anderer Staaten, wie z. B. Chinas oder Indiens, geradezu erzwingen. Der G-8-Gipfel war übrigens auch nie gegen die UN gerichtet. Seine Initiatoren sahen in ihnen vielmehr eine wichtige Institution zu Behandlung globaler Fragen. Der Gipfel hat über seinen zunächst weltwirtschaftlichen Ansatz hinaus auch Beiträge zur globalen politischen Stabilität erbracht. Vielleicht bieten die informellen Gespräche in Evian die Möglichkeit, sich über die Bedeutung der internationalen, der transatlantischen und der europäischen Institutionen zu verständigen und auch darüber, dass die gleichberechtigte Kooperation innerhalb der EU durchaus beispielgebend sein kann für die Gestaltung der neuen Weltordnung.

Die Interdependenz in der Weltwirtschaft kann von niemandem mehr geleugnet werden. Die hier zu lösenden Probleme kann niemand im Alleingang angehen und auch nicht mit einer Zufallskoalition der Willigen. Alles spricht dafür, dass das in allen anderen Bereichen der globalen Politik, einschließlich der Abrüstung, des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen, der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und des damit eng verbundenen internationalen organisierten Verbrechens, ebenso gilt. Staatsmännische Verantwortung und nicht Nachkarten wird in Evian verlangt werden. Die Chance besteht, wie die Nahost-Initiative zeigt. Die Geschichte pflegt ihre Angebote nur selten zu wiederholen.

Der Autor war von 1974 bis 1992 deutscher Außenminister. Foto: Mike Wolff

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