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Meinung: Nahost: Qualverwandtschaften

Bevor es den Staat Israel gab, herrschten in der Region die Briten. Gegen die kämpfte eine jüdische Untergrundarmee.

Bevor es den Staat Israel gab, herrschten in der Region die Briten. Gegen die kämpfte eine jüdische Untergrundarmee. Deren Mitglieder schmuggelten Waffen ins Land und verübten Anschläge. Die Briten empfanden das als Terrorismus. Zum Glück waren Selbstmordattentate damals noch nicht in Mode. Gerade für junge Juden war der Untergrund attraktiv. Viele von ihnen waren aus Europa geflohen. Ihre einzige Habe war die Hoffnung, eines Tages nicht mehr unter Fremdherrschaft leiden zu müssen. Mit glühendem Eifer - heute würde man Fanatismus sagen - zogen die Teenager gegen Briten und Araber zu Felde. Einer von ihnen war Ariel Scharon.

Dieser Mann wurde vor einem Jahr Ministerpräsident Israels. Kurz zuvor hatte er versprochen: "Wenn ich gewählt werde, tue ich alles - und noch etwas mehr - um diesem Land Ruhe, Sicherheit und Frieden zu bringen." Die Bilanz sieht anders aus: Die Intifada tobt unvermindert weiter. Mindestens 833 Palästinenser und 252 Israelis wurden in jenen 16 Monaten getötet. Das erste Amtsjahr Scharons wird, abgesehen von Kriegszeiten, als das blutigste überhaupt in die Geschichte Israels eingehen. Außerdem haben die Palästinenser sich in dieser Zeit beängstigend radikalisiert. Die säkularen und moderaten Kräfte sind in der Minderheit, die Islamisten in der Mehrheit. Not und Verzweiflung gebären Wut und Verzweiflung.

Für Scharon gibt es einen Schuldigen für das Debakel. Es ist sein Lieblingsfeind, der Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Beide Männer sind etwa gleich alt. Und rein psychologisch ist ihre gegenseitige Aversion leicht verständlich. Arafat erinnert Scharon an seine eigene Vergangenheit. Denn in seinem Innersten weiß Scharon, dass es Zeiten geben kann, die den bewaffneten Widerstand gegen ein Besatzungsregime rechtfertigen. Das kann er natürlich nicht zugeben oder gar auf die Situation der Palästinenser übertragen. Aber er spürt es. Dafür hasst er Arafat. Scharon andererseits ist für Arafat der lebende Beweis, dass es möglich ist, einen Unabhängigkeitskampf zu gewinnen. Scharon verkörpert das Versagen Arafats. Auch das ist keine Grundlage für freundschaftliche Beziehungen.

In ihrem Hass aufeinander sind Scharon und Arafat gefangen. Ohne sich zu verleugnen, können sie der Misstrauensspirale nicht entkommen. Deshalb brauchen sie Hilfe von außen. Die freilich kann nur ein Land leisten - die USA. Ihr Beeinflussungs-Kapital hat die Bush-Administration jedoch in den vergangenen Wochen sukzessive verschenkt. Sie hat sich auf die Seite Scharons geschlagen und dessen Anti-Arafat-Kurs fast hundertprozentig unterstützt. Den Friedensnobelpreisträger jetzt nicht ganz für vogelfrei zu erklären, wie Scharon es bei seinem vierten Besuch im Weißen Haus gerne durchgesetzt hätte, ist lediglich Kosmetik.

Den bislang deutlichsten Ausdruck fand der Kurswechsel Amerikas vor zehn Tagen in der Rede des US-Präsidenten an die Nation. In die "Achse des Bösen" nahm Bush den Iran auf und weitete den Kampf gegen den Terrorismus auf Gruppen wie Hamas, Hisbollah und Dschihad aus. Diese Passage klang, als sei sie ihm direkt von Scharon ins Manuskript geschrieben worden. In Israel macht man aus der Genugtuung über die unverhoffte Umarmung der USA keinen Hehl.

Womit Saddam Hussein und Osama bin Laden in ihren Hetzreden gescheitert sind, das könnte sich durch den Leichtsinn Washingtons von selbst erfüllen: Interessenunterschiede zwischen Israel und den USA sind für die meisten Araber nicht mehr auszumachen. Das spielt allen Dschihadisten in die Hände, die es wegen der Palästinenser für angemessen halten, sich Sprengstoff um den Bauch zu binden und Amerikaner in die Luft zu jagen. Bush hat nach dem 11. September alles richtig gemacht. Mit seinem Kurswechsel in der Nahostpolitik begeht er allerdings einen großen Fehler, den er irgendwann bitter bereuen dürfte.

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