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Nazis im Auswärtigen Amt: Die Sehnsucht nach einer untadeligen Elite

Enttäuscht, schockiert, überrascht. Das waren die Reaktionen auf die Nazis im Auswärtigen Amt. Enttäuschend, schockierend, überraschend ist aber vor allem, wie sehr in Deutschland festgehalten wurde an der Wunschvorstellung einer zumindest im Herzen guten Elite.

Der frühere Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist enttäuscht, der Historiker Eckart Conze ist schockiert, Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker überrascht. Seit der Abschlussbericht einer Historikerkommission über das Wirken des Auswärtigen Amts während der Nazizeit bekannt geworden ist, hat das große Staunen eingesetzt. So viele Nazis, ausgerechnet bei denen? Die Diplomaten und Beamten wussten vom Holocaust? Und manche haben sogar mitgemacht? Ist ja kaum zu glauben, das hätten wir nicht gedacht. Oder doch?

Die Historiker haben Belege dafür gefunden, dass Mitarbeiter des Amtes an der Judenvernichtung beteiligt waren, und da sie als gute deutsche Beamte ihre Dienstreisen ordentlich abgerechnet und begründet haben, zum Beispiel „Liquidation von Juden in Budapest“, ist jetzt auch klar, dass alle Bescheid wussten, bis hin zum Buchhalter. Befremdlich daran ist eigentlich nur, dass es so lange gedauert hat, bis diese Belege aus den Archiven ans Licht geholt wurden, und dass die Illusion, es könnte dort, in diesem Amt, alles anders sein, nicht vorher schon geplatzt ist.

Enttäuschend, schockierend, überraschend sind etliche Details, die jetzt nachgelesen werden können. Enttäuschend, schockierend, überraschend ist aber vor allem, wie sehr in Deutschland festgehalten wurde an der Wunschvorstellung einer zumindest im Herzen guten Elite, allen gegenteiligen Hinweisen und Widersprüchen zum Trotz. Die Mär vom gutmütigen Nazi in den oberen Etagen der Gesellschaft, der das menschenmöglich Beste aus der Lage gemacht hat, ist Jahrzehnt für Jahrzehnt weitergetragen worden. Nur so ist es zu erklären, dass selbst ein erfahrener Historiker wie Eckart Conze sagt, er sei erschüttert über das schiere Ausmaß, in dem die nationalkonservative Oberschicht kooperierte und kollaborierte.

Und wir haben es mal wieder nicht gewusst.

Marcel Reich-Ranicki hat in seinen Memoiren über eine gespenstische Begegnung mit Albert Speer berichtet, Anfang der siebziger Jahre, bei einem Empfang in der Berliner Villa des Verlegers Wolf Jobst Siedler. Anlass: die Veröffentlichung der Hitler-Biografie von Joachim Fest. Geladen war auch der frühere Rüstungsminister des Führers, der seine Haftzeit abgesessen hatte. Reich-Ranicki, dessen Eltern von den Nazis ermordet worden waren und der von der Anwesenheit Speers überrascht wurde, beobachtete entsetzt, wie Speer, der bloß zufällige, gute Nazi, von der sich besser fühlenden Gesellschaft hofiert wurde.

Zwanzig Jahre zuvor, 1952, hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärt: „Ich meine, wir sollten mit der Nazi-Riecherei jetzt Schluss machen.“ Das hatte für Adenauer vor allem pragmatische Gründe, denn: „Die Maschine muss laufen.“ Die Leute wurden also gebraucht, auch und vor allem im Außenamt. So etwas hebt das Selbstbewusstsein, sollte es denn angekränkelt sein. Zwei Drittel der Diplomaten und Beamten waren hier früher Mitglied der NSDAP. Ernst von Weizsäcker, einst Staatssekretär und zweiter Mann hinter Reichsminister Joachim von Ribbentrop, nach dem Krieg wegen der Deportation französischer Juden nach Auschwitz verurteilt, war 1951 gestorben. Von „Judenüberschwemmung“ hatte er früher gesprochen und sich 1936 für die Ausbürgerung Thomas Manns ausgesprochen. Dennoch fokussierte sich auf ihn die Sehnsucht nach einer untadeligen Elite, die lediglich ein paar menschliche, verständliche Schwächen gezeigt habe. Weizsäckers langjähriger Mitarbeiter Albrecht von Kessel beschrieb die Wirkung des Kriegsverbrecherprozesses so: Weizsäcker stehe „als Symbol des tragischen Schicksals von Wohlgesinnten“ da und empfinde sich auch selbst so. Die Legendenbildung nahm ihren Lauf.

Als Jahrzehnte später der damalige Außenminister Joschka Fischer anordnete, dass Nachrufe „im ehrenden Gedenken“ an frühere Mitarbeiter des Amts nicht mehr im hausinternen Mitteilungsblatt erscheinen sollten, weil darin auch hochrangiger Nazis gedacht wurde, und eine Historikerkommission mit der Aufarbeitung der Geschichte des Amtes beauftragt wurde, war die damalige Opposition empört. Werner Hoyer, Erfinder des elitären FDP-Slogans „Partei der Besserverdienenden“, heute Staatsminister bei Guido Westerwelle, warf Fischer vor, er habe das Amt „zutiefst in seiner Seele verletzt“. Friedbert Pflüger, einst enger Mitarbeiter Richard von Weizsäckers, erklärte, verdiente Diplomaten gerieten so unter Generalverdacht; es habe doch auch NSDAP-Mitglieder gegeben, die im Widerstand waren und sich später als Demokraten bewiesen hätten. Sicher, die gab es – auch. Die Unionsparteien lehnten die Historikerkommission ab, Angela Merkel sagte, sie würde es sich im Einzelnen anschauen. Die große Sorge: bloß keinem Herrenreiter Unrecht tun, bloß nicht die Illusion zerstören, dass es über den Barbaren eine Elite gab und gibt und geben muss; und dass man doch eigentlich dazugehört, bitteschön, irgendwie.

Außenminister Willy Brandt hatte sich damals nicht an die alten Nazis in seinem Amt rangetraut und hatte auch andere Sorgen, worüber heute Steinmeier enttäuscht ist, dem aber auch nichts weiter auffiel. Scheel und Genscher waren selbst in der NSDAP. Westerwelle will den Bericht jetzt zu einer „festen Größe“ in der Diplomatenausbildung machen. Fischers Nachrufverbot wurde aber schon mal wieder aufgeweicht. Die Rolle als Symbol des tragischen Schicksals von Wohlgesinnten hat einstweilen Tom Cruise übernommen, in Vertretung von Graf Stauffenberg.

Auch mit guten Manieren kann man schlimme Dinge tun? Ach, wenn schon schlimme Dinge tun, dann wenigstens mit guten Manieren. Alles wird gut.

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