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Berlin wächst schneller als gedacht - Berlin muss neui geplant werden.

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Neue Bevölkerungsprognose für Berlin: Der Senat muss auf das explosive Wachstum reagieren

Die Stadt wächst, wird voller und stressiger – es muss ganz neu geplant werden. Berlin muss sich Fragen stellen wie: Wie viel grünen Freiraum kann sich die Stadt noch leisten? Wo ist Platz für Industrie und Gewerbe? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ulrich Zawatka-Gerlach

Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Als die Mauer in Berlin fiel, wusste keiner, wo es langging. Wächst die Stadt um einige hunderttausend Menschen oder schrumpft sie gewaltig, weil ökonomisch und sozial ausgeblutet? Da waren sich viele seriöse Institute überhaupt nicht einig. Ende der neunziger Jahre verständigten sich die Statistiker auf den bevölkerungsmäßigen Stillstand, und manche Politiker freuten sich schon auf das „gartenbezogene Wohnen“ in der beschaulichen Innenstadt.

Kurz darauf senkten die Experten sogar den Daumen: Berlin werde Einwohner verlieren, es gebe keine Jobs und keine Zukunft. Die Stadt sei auf dem Weg, zu vergreisen, hieß es, und die Landeskasse sei leer. Alle wollten nur noch raus. Bis 2010 war das Senatsdoktrin. Inzwischen wissen wir, dass dieser Blick in die Kristallkugel schwer getrübt war durch falsche Annahmen. Ein echter Vorwurf ist daraus niemandem zu machen, manchmal kommt es eben anders, als man denkt.

Die Völker wollen nach Berlin

Erst vor drei Jahren wagte sich die regierungsamtliche Bevölkerungsprognose auf den Wachstumspfad, die Völker schauten nicht nur auf Berlin, sie wollten hin. Die einen für ein paar Tage als Touristen, viele andere schlugen Wurzeln. Aus der Stadt des Wandels, die sich in Ost und West schneller veränderte, als man gucken konnte, wurde die wachsende Stadt. Das eine bedingte offenbar das andere. Bis 2030 sollten sich die 3,4 Millionen Eingeborenen auf 250 000 zusätzliche Dorfbewohner einstellen. Jetzt sagen die Schamanen in der Stadtentwicklungsbehörde, dass Berlin in 15 Jahren auf die Viermillionengrenze zusteuert.

Das haben wir lange nicht gehabt. Vor neunzig Jahren zählte die Reichshauptstadt und Industriemetropole Berlin zum ersten Mal mehr als vier Millionen Einwohner. Der Trend hielt an bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, dann stürzte die Bevölkerungszahl rapide ab. Zwei bis drei Generationen später nimmt Berlin einen neuen Anlauf, und wenn Stadtentwicklungssenator Geisel sagt, das sei ein großes Glück, hat er prinzipiell recht. Es geht aufwärts, was soll daran schlimm sein?

Schlimm könnte es nur werden, wenn die Politik auf das unerwartet explosive Wachstum Berlins nicht adäquat reagiert. Denn die neuen Prognosen werfen alles über den Haufen. Es muss neu geplant werden für ausreichenden Wohnraum, für Mobilität und Bildungskapazitäten, von den Kitas bis zur Humboldt-Universität. Es muss neu nachgedacht werden über die Frage, wie viel grünen Freiraum sich die Stadt noch leisten kann und will, wo noch Platz für Industrie und Gewerbe ist, wie viele Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen die wachsende Stadt Berlin braucht. Genügend Kultur, immerhin, dürfte schon da sein.

Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD).
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD).

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Jeder Berliner spürt: Die Stadt wird voller, stressiger und teurer. Es wird dichter und höher gebaut, der Verkehr nimmt zu, die sozialen und ökologischen Probleme auch. Das Umland wird schleichend eingemeindet, hallo Brandenburg! Das angemahnte Glücksgefühl wollen wir nicht unterdrücken, aber die Frage sei erlaubt: Kriegt dieser und der nächste Senat die wachsende Stadt wirklich in den Griff?

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