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Meinung: Neuer Markt: Glücksspiel mit Pleitenrisiko

Heulen und Zähneklappern am Neuen Markt. Schlimmer hätte das Börsenjahr 2001 nicht starten können.

Heulen und Zähneklappern am Neuen Markt. Schlimmer hätte das Börsenjahr 2001 nicht starten können. In den ersten beiden Handelstagen sind die Kurse vor allem an den Neuen Märkten regelrecht eingebrochen. Statt einer Korrektur nach oben, wie von vielen nach den Verlusten in 2000 erhofft, geht die Talfahrt rasant weiter. Ganz nach A.Paul Webers Karikatur "Hurra, wir sind über den Berg". Die Prognosen von neuen Allzeit-Hochs der Indices in diesem Jahr erscheinen wie reines Wunschdenken. Gelten in der Neuen Ökonomie die alten Regeln nicht mehr, die Aktien als die beste Anlage preisen? Wer ist schuld an den Übertreibungen, und wo endet der Fall?

Besonders ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sind die Anlageberater bei den Banken und Sparkassen. Sie verdienen gut an den hochgezogenen Einführungskursen ihrer Börsenneulinge. Hohe Kurse und häufiges Umschichten der Depots bringen mehr Provisonen als das "Hinlegen und warten". Die meisten Berater dürften, selbst wenn sie es könnten, nicht objektiv raten. Sie müssen ihrem Institut dienen und Umsatz machen.

Also besser Selbstmedikation? Gibt es nicht Informationen und guten Rat satt von namhaften Analysten aus den unzähligen alten und neuen Fachmedien mit Musterdepots und den angeblichen Top-Aktien des Jahres? Und kluge Weissager, die mit ihren Kurvenlinealen allen Eventualitäten in den Kursen eine Erklärung geben, Widerstandslinien und Aufwärtskanäle zeichnen. Bis ihnen dann die Unternehmen, über die sie so schöne Grafiken anfertigen, einen dicken Strich durch ihre Rechnungen machen. So wie Intershop und EM.TV, IBM, Chrysler oder SAP. Hochprozentige Kursstürze durch alle Widerstandslinien sind die Folge.

Wer sind die Schuldigen und kommen die Hiobsbotschaften wirklich aus heiterem Himmel? Schuld sind sicherlich oft zu forsche Unternehmer und Manager, die sich von Träumen statt von Markterfolgen nähren und Strategien verfolgen, die zum Scheitern verurteilt sind. Aber "Scheiterer" finden sich in der Neuen wie in der Alten Wirtschaft. Man muss nicht nur an Borgward, Grundig, Nixdorf oder AEG denken, sondern auch an Commodore oder Banken und Dienstleister, denen die Puste ausgegangen ist, weil ihre Führung die Zeichen der Zeit falsch gelesen haben. Und dass in Gründerzeiten wie heute, in denen sehr viele neue und unerfahrene Unternehmen zum Wettlauf antreten, auch mehr straucheln, kann nicht verwundern. Bei vielen ehemaligen Börsenlieblingen kommt ihr Fall auch nicht unvermutet. Gab es nicht schon lange Listen von "Todeskandidaten" der Internet-Liga, Warnungen vor verrückten Kurs-Übertreibungen, Mahnungen, die fundamentalen Daten eines Unternehmens zu beachten, wenn Kurse beurteilt werden?

Die Schuld für herbe Verluste an den Aktienmärkten sucht der Anleger deshalb am besten bei sich selbst. Wer nur zum Glücksspiel an die Börsen geht, wer als Zocker schnelles Geld verdienen will, der weiß auch, dass er seinen Einsatz verspielen kann. Wer auf die Qualität der Aktien, ihre nachhaltige Substanz setzt, vernünftig mischt und langatmiger agiert, der kann zwar auch mal Verluste erleiden - wie bei Allianz, Daimler-Chrysler und Siemens -, aber für ihn bleibt die alte Regel "in dubio pro actiones" gültig. Die übertriebene Talfahrt der Technologieaktien findet in Kürze ihren Boden. Bei weiteren Kursverlusten am Neuen Markt wie bisher wäre der Nemax sonst in wenigen Tagen bei Null. Und außerdem, wo soll das viele Geld angelegt werden, dass aus dem Dollar mit neuem Vertrauen in die europäische Wirtschaft und den Euro nun herein strömt?

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