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Meinung: Nicht genug studiert

Deutschland investiert zu wenig in den wichtigsten Zukunftsrohstoff – die Hochschulen

Die Schule der Nation? Die meisten Bürger und Politiker dieses Landes meinen, das sei die Schule. Sie denken dabei in den Kategorien der Vergangenheit, als Hochschulbildung das Privileg einer Minderheit von fünf Prozent eines Jahrgangs war. Heute ist sie ein Massenphänomen, dessen Expansion noch nicht an die Grenzen gestoßen ist.

Als die führenden Industrienationen der Welt, die in der OECD zusammengeschlossen sind, im Jahr 2000 das Pisa-Debakel aufdeckten, war es ein Schock für die Deutschen. Jetzt stehen wir vor einem mit Pisa vergleichbaren Problem: der Bewältigung eines Studentenandrangs ohnegleichen, auf den Deutschland denkbar schlecht vorbereitet ist. Da kommt der neueste OECD-Bildungsbericht mit seiner internationalen Sicht gerade recht.

In Deutschland studieren bisher nur 37 Prozent eines Jahrgangs. International sind mehr als 50 Prozent üblich. Einige Länder wie Australien, Island, Neuseeland, Schweden, Finnland und Polen lassen sogar 70 Prozent ihrer Landeskinder studieren. In Deutschland fragen sich dagegen viele Politiker hinter verschlossenen Türen, ob wir so viele Akademiker brauchten und nicht stärker auf die berufliche Bildung setzen sollten. Die OECD sagt aber auch, dass Deutschland seinen Spitzenplatz in der beruflichen Bildung schon längst verloren hat. Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass eine Hochschulausbildung vielversprechender und zukunftssicherer ist. Zukunftssicherer, weil mit höherem Einkommen verbunden und weniger dem Risiko der Arbeitslosigkeit ausgesetzt.

Die OECD beklagt, dass in Deutschland zu viele Jugendliche ihr Studium abbrechen – 27 Prozent – und dass sie mit nahezu sieben Jahren zu lange studieren. Viel verspricht sich die OECD von den neuen Abschlüssen Bachelor und Master, weil sie die Studienzeiten auf drei bis maximal fünf Jahre verkürzen und die Zahl der Abbrecher verringern könnten. Diese Umstellung ist unter deutschen Professoren nach wie vor umstritten. Und viele Politiker betrachten den Bachelor als eine Billiglösung, mit dessen Hilfe man die neuen Studentenmassen schnell durch die Hochschulen schleusen kann, ohne die Ausgaben im tertiären Bereich jährlich um zwei Milliarden Euro zu erhöhen. Die Argumente des Wissenschaftsrats, dass diese Studienreform nur gelingen kann, wenn die Studenten vom ersten Tag an besser betreut werden als bisher, finden kaum Beachtung. Deutschland bereitet sich also denkbar schlecht auf die große Chance vor, die die Bewältigung des Studentenbergs international bietet.

Die Bundesländer wissen bis heute nicht, wie viele neue Studienplätze benötigt werden. Die Bundeswissenschaftsministerin hat zwar vorsorglich eine Milliarde Euro in den Haushalt eingestellt, um die Hochschulforschung zu fördern. Nichts gegen eine bessere Forschungsförderung, aber man kann sich schwer vorstellen, dass die 2,5 bis 2,7 Millionen Studenten der kommenden Jahre alle von Forschungsgeldern profitieren werden. Ihnen ist jetzt nur mit einer besseren Lehre und Betreuung zu helfen. Vielleicht trägt der OECD-Bericht dazu bei, hier den richtigen Weg zu weisen.

Uwe Schlicht

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