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Meinung: Nicht unter dem Radar fliegen

Rüttgers ist kein Modell für Merkel: Die CDU muss im Wahlkampf Farbe bekennen

Von Robert Birnbaum

Er empfinde Demut vor der Aufgabe, hat Jürgen Rüttgers gestern unmittelbar nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten gesagt. Das ist einerseits das, was man eben so sagt an der Schwelle zu Amt und Würden. Aber andererseits – Rüttgers steht wirklich vor einer immensen Bewährungsprobe. Und zwar nicht nur und nicht einmal in erster Linie, weil er der erste CDU-Regierungschef an Rhein und Ruhr seit 39 Jahren ist. Sondern wegen eines Nebeneffekts seines Wahlsiegs, der sich als der eigentliche Knüller erwiesen hat. Rüttgers hat mit seinem Wahlsieg den Kanzler gekippt. Deshalb erscheint sein schwarz-gelbes Bündnis in Düsseldorf als Vorläufer für Berlin. Ist es auch Vorbild? Gar „Modell“, wie der FDP-Chef Guido Westerwelle formuliert hat?

Die Frage ist ein bisschen kniffliger, als sie auf den ersten Blick scheint. Der erste Blick in den Düsseldorfer Koalitionsvertrag fällt auf ein Vorwort, das mit geringen Anpassungen gut und gerne den Wahlprogrammen vorangestellt werden könnte, die FDP und Union auf Bundesebene formulieren: Starkes Land, tolle Menschen, schlecht regiert, Vertrauensverlust, Chancen wieder nutzen – aber: „Es wird kein leichter Weg.“

Jenseits dieser Politprosa wird es schon schwieriger mit den Parallelen. Über die Frage, ob nicht die Kanzlerkandidatin Angela Merkel den Rüttger’schen Wahlkampf imitieren könnte, ist inzwischen viel gestritten worden. Rüttgers’ Erfolgsrezept bot eine Mischung aus gezielter Unauffälligkeit und punktueller Ehrlichkeit – drastisches Sparen, Kohlehilfen streichen. Theoretisch ließe sich diese Mixtur im Bundestagswahlkampf recyceln, zumal in einem, in dem der Kanzler der Union den Sieg auf dem Silbertablett dargeboten hat.

Praktisch hat die Union den Anspruch an die eigene Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit inzwischen selbst derart hochgeschraubt, dass ihr schon eine leicht absurde Gefahr droht: dass nämlich CDU und CSU am 11. Juli das offenherzigste Wahlprogramm aller Zeiten vorlegen – und trotzdem allgemein der Weichspülerei bezichtigt werden, weil hier und da die Zahlen fehlen. Und was die Unauffälligkeit angeht: Man kann sich in einem Bundesland an die Macht heranrobben, ohne den Kopf weit über die Grasnarbe zu heben. Eine Bundestagswahl, selbst eine kurze, ist immer eine offene Feldschlacht.

Tatsächlich hätte eine Unauffälligkeitsstrategie noch aus einem anderen, wichtigeren Grund keine Chance. Dieser Grund zeigt sich beim zweiten Blick in das Koalitionsprogramm von Düsseldorf. Er enthüllt die beklemmend engen Grenzen, in denen Landespolitik mit leeren Kassen überhaupt noch gestalten kann. Grob gerechnet jeder zweite Satz der Düsseldorfer Abmachung enthält den Verweis auf Rahmenbedingungen, die nur der Bund verändern kann. Und das ist nicht Drückebergerei, sondern bloß bitter realistisch.

Auf solche höheren Mächte kann sich ein schwarz-gelbes Bündnis im Bund nicht berufen. Das Prinzip Hoffnung gilt im Kanzleramt nicht, der Verweis auf angebliche und echte Erfolge der Parteifreunde in Ländern auch nicht. Die Frage, wer für wen Modell zu sein hat, muss umgekehrt gestellt und beantwortet werden: Ob Schwarz- Gelb funktioniert und gut regiert, entscheidet sich nicht in Düsseldorf, sondern einzig in Berlin.

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