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Nicolas Sarkozy: Der Egokrat

Wo laufen sie denn? Nicolas Sarkozy macht die Pferde scheu: Als wandelndes Rätsel jagt er durch die Weltpolitik. Kann das gut gehen?

Die Franzosen lieben es, ihre Präsidenten nach der Wahl wie einst ihre Monarchen zu salben und sie dann irgendwann aufs Schafott zu schicken. Selten hat sich dieser Spruch so schnell bewahrheitet wie im Fall des im Mai 2007 triumphal gewählten Nicolas Sarkozy. Nur neun Monate nach seinem Einzug in den Élysée-Palast sind nur noch 33 Prozent der Franzosen mit der Amtsführung ihres Präsidenten zufrieden. Auch bei der Wählerschaft der Rechten hat der Popularitätsverfall Sarkozys schwindelerregendes Ausmaß angenommen.

Symptomatisch dafür ist die Reaktion mancher lokaler Würdenträger der Regierungspartei UMP. Vor der Kommunalwahl, deren erste Runde am kommenden Sonntag stattfindet, haben sie sich händeringend gegen Wahlkampfauftritte Sarkozys gewehrt. Die Prognosen für die Regierungspartei zu diesem ersten landesweiten Urnengang seit der Präsidentenwahl sind selbst in traditionellen Hochburgen der Rechten so schlecht, dass einige Bürgermeisterkandidaten der UMP sogar den Parteinamen von ihren Plakaten entfernen ließen. Ein Präsident, der nicht als Zugpferd erwünscht ist, sondern als Stimmenexorzist gefürchtet wird – das hat es in den Annalen der Fünften Republik noch nicht gegeben.

Alle Vorgänger Sarkozys haben irgendwann nach ihrer Wahl an Beliebtheit eingebüßt. Das gehört als Preis zum politischen Geschäft in der Demokratie. So hatte Charles de Gaulle zwar viele Gegner, aber erst gegen Ende seiner Amtszeit konnte er sich nicht mehr auf die Zustimmung einer Mehrheit der Franzosen stützen. Ähnlich erging es Georges Pompidou. Valéry Giscard d’Estaing hatte schon nach zwei Jahren eine Mehrheit der Franzosen gegen sich. François Mitterrand wurde bei der Fahrt über die Champs-Élysées am 14. Juli 1981 von einem wütenden Pfeifkonzert empfangen. Jacques Chirac brauchte eine ganze Amtszeit, um sein durch die Streiks von 1995 ramponiertes Ansehen bei den Franzosen für seine Wiederwahl 2002 zu erneuern.

Alle Vorgänger Sarkozys konnten sich freilich auch – wenn sie nicht wie Mitterrand und Chirac zu Zeiten der Kohabitation die Macht nach verlorener Parlamentswahl mit einem Regierungschef aus dem anderen politischen Lager teilen mussten – hinter ihrem jeweiligen Premierminister verschanzen. Wenn dessen Popularität sank, wechselten sie ihn wie eine Sicherung einfach aus. Sarkozy kann das nicht. Sein Premierminister, der politisch eher langweilige François Fillon, übertrifft ihn, den täglich in den Medien präsenten Präsidenten, mit 55 Prozent Zustimmung in den Umfragen und scheidet damit als bequemer Sündenbock aus.

Doch auch politisch steht der umtriebige Präsident nicht gut da. Von der „rupture“, dem Bruch mit dem politischen Konservatismus der Vergangenheit, den er den Franzosen in Aussicht stellte, ist nicht viel zu sehen. Der Schock, den er mit den 14 Milliarden Euro teuren Steuergeschenken zur Belebung des Wirtschaftswachstums auszulösen glaubte, ist ohne Wirkung verpufft. Die Pflicht zu einem Minimaldienst, den er den Gewerkschaften abtrotzen wollte, um Streiks im öffentlichen Dienst für die Kunden von Eisenbahn, Nahverkehr und anderen öffentlichen Einrichtungen künftig erträglicher zu machen, ist weniger zwingend ausgefallen als geplant.

Ähnlich mager sind andere Bilanzen: Beim Arbeitsrecht ist von einer großen Reform längst keine Rede mehr. Auch flexiblere Lösungen, wie sie in anderen Ländern zur Belebung des Arbeitsmarkts gefunden wurden, sind nicht in Sicht. Die Universitätsreform blieb in Halbheiten stecken. Bei der Reform der Sonderrentenkassen für Eisenbahner und andere Beschäftigte des öffentlichen Sektors wurde zwar ein Durchbruch erzielt, doch über wichtige Details gehen die Verhandlungen weiter. Unerfüllt ist seine Ankündigung geblieben, die Kaufkraft der Franzosen zu erhöhen. Unerfüllt wird sie auch bleiben. „Wollen Sie, dass ich die Kassen des Staates leere, die ohnehin schon leer sind?“, hatte er bei seiner Pressekonferenz im Januar einen Fragesteller schnippisch zurechtgewiesen.

Dass das Wachstum ausbleibt, weil die internationale Konjunktur lahmt, ist Sarkozy nicht vorzuwerfen. Doch die Reaktion der Franzosen wäre vermutlich weniger heftig, wäre da nicht die glamouröse Zurschaustellung seines Privatlebens gewesen. „Das hat wie ein Zündfunken gewirkt“, sagt der Direktor des Meinungsforschungsinstituts BVA, Jérôme Sainte-Marie. Seit der Blitzheirat mit dem ehemaligen Mannequin Carla Bruni scheint sich der „Präsident Bling-Bling“, wie ihn die linke Zeitung „Libération“ mit einem aus dem Jargon der Rapper entlehnten Begriff für den Hang zu auffälligem Goldschmuck auf ihrer Titelseite karikierte, größerer Zurückhaltung zu befleißigen.

Niemand kann angesichts der täglich neuen Einfälle, der meist ohne vorherige Konsultation gefassten und nicht selten widersprüchlichen Entschlüsse sagen, welche Linie dieser Präsident vertritt. Gilt noch sein liberales Wahlprogramm von 2007? Sind es jetzt die Aussagen, die er bei seiner Pressekonferenz Anfang dieses Jahres gemacht hat?

Politik betreibt Sarkozy, wie die Soziologen Denis Muzet und François Jost schreiben, nach dem „Zapping-Effekt“: Jeden Tag etwas Neues, um die Öffentlichkeit via Fernsehen in Atem zu halten. Er nimmt dabei in Kauf, dass er mit der Idee, jedem Schüler der letzten Grundschulklasse die Patenschaft für eines der in der Schoah umgekommenen 11 400 jüdischen Kinder aus Frankreich zu übertragen, Eltern, Pädagogen, Historiker und Psychologen gegen sich aufbringt. Wie ein Alleinherrscher unternimmt er immer wieder neue Vorstöße, und alle müssen ihm folgen. Er müsse, rechtfertigt sich Sarkozy, eben „hyperaktiv“ sein, um ein eingeschlafenes Land aufzuwecken: „Wenn ich nicht mit der Faust auf den Tisch schlage, passiert überhaupt nichts.“

Sarkozy entspreche nicht dem klassischen Bild, das sich die Franzosen von ihrem Präsidenten machen, erklärt der Politologe Jérôme Jaffré den Popularitätsverfall Sarkozys. Weder wolle er der über dem politischen Alltag stehende Schiedsrichter sein noch der Mann, der die Franzosen über die Parteigrenzen hin einigt und sich nach der Formel de Gaulles nur „um das Wesentliche“ kümmert. Andere wie der Publizist Jacques Julliard suchen eine Antwort in Charakterstudien des Präsidenten. „Haben wir einen verhaltensgestörten Narziss gewählt?“, fragt er. Der Psychoanalytiker Gérard Miller kommt zu dem Schluss, Sarkozy habe die Qualitäten, derentwegen er gewählt wurde, die Energie, die Dynamik, die Hartnäckigkeit, in den Dienst seiner selbst gestellt. Im Magazin „Le Point“ schreibt er: „Das ,Casse-toi alors, pauvre con‘ (Hau doch ab, armer Blödmann), das er vergangene Woche einem Besucher der Pariser Agrarschau entgegenschleuderte, der ihn beleidigte, hat uns allen gegolten.“

Dass Sarkozy seinen Stil „präsidentialisiert“, wie es „Le Monde“ ausdrückt, ist nicht zu erwarten. Er sei auf fünf Jahre gewählt und nehme das Risiko der Unpopularität auf sich, hat er seinen Mitarbeitern gesagt. Diese finden sich damit ab. Einige wie sein langjähriger Freund, der Einwanderungsminister Brice Hortefeux, sehen darin sogar eine Garantie für seinen Erfolg: „Nicolas muss so weitermachen. Wenn er sich ändert, wird sich hier gar nichts ändern.“

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