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Meinung: Niemand ist eine Insel

Der Streit zwischen Atlantikern und Europäern in der EU ist beigelegt – dank Blair

Geld ist nicht alles. Zwar konnten sich die EU-Finanzminister in der vergangenen Woche nicht darüber einigen, wie strikt sie den Stabilitätspakt gegen die beiden Defizitsünder Deutschland und Frankreich anwenden sollen – aber über diesem Streit wird die EU nicht auseinanderbrechen. Denn immerhin haben die Außenminister der Europäischen Union in Neapel eine Einigung über einen Punkt hingekriegt, der mindestens genauso sensibel ist wie Europas Geld: eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik.

Schließlich ist in der Frage, ob die EU überhaupt von der Nato unabhängige Verteidigungskapazitäten braucht, ebenso strittig wie die Auslegung des Stabilitätspaktes. Gerade die neuen EU-Mitglieder möchten verhindern, dass eine eigenständige EU-Militärpolitik zu einer Konkurrenz für die Nato wird, der sie sich stärker verbunden fühlen als so manches alte EU-Mitglied. Dieser Streit zwischen „Atlantikern" und „Europäern" in der EU – in Neapel ist er weit gehend entschärft worden. Erinnert sich noch jemand daran, dass sich US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zu Beginn des Jahres über das „alte Europa" aufregte – also namentlich über Franzosen und Deutsche?

In Neapel haben nun alle Vertreter der 15 „alten" und der zehn „neuen" EU-Staaten ihr Scherflein dazu beigetragen, dass es zur Einigung kam. Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz hält zwar ansonsten nicht viel davon, den europäischen Pfeiler in der Nato übermäßig zu stärken – stellte aber seine Bedenken zurück. Belgien, Frankreich, Deutschland und Luxemburg gaben dafür ihren Blütentraum auf, im Brüsseler Vorort Tervuren ein eigenes EU-Hauptquartier aufzubauen. Der eigentliche Vater des Kompromisses aber sitzt in London. Hätte der britische Premier Tony Blair nicht zwischen Washington und den EU-Partnern vermittelt, wäre das Kommuniqué von Neapel kaum das Papier wert gewesen, auf dem es gedruckt ist.

Die Einigung zeigt: Großbritannien liegt zwar nicht im Euroland der gemeinsamen Währung, aber in Fragen der Verteidigungspolitik eben doch mitten in Europa. Durch sein diplomatisches Geschick hat sich Blair eine wichtige Tür zur neuen, größer werdenden EU offen gehalten. Mag sein, dass die Briten in der EU-Verfassung keine Regelungen sehen wollen, die einer Harmonisierung der Steuerpolitik oder einschneidenden arbeitsrechtlichen Vorgaben Vorschub leisten würden. Sollte aber – einmal als Gedankenspiel – zur Befriedung eines Krisenherdes in Afrika künftig eine eigenständige EU-Truppe gefordert sein, dann würde sich auch Blair einer solchen europäischen „Koalition der Willigen“ nicht verschließen. Engere militärische Zusammenschlüsse „williger“ EU-Staaten sollen auch nach der neuen EU-Verfassung möglich sein.

Müssen deshalb nach dem Treffen von Neapel in Washington jetzt die Alarmglocken schrillen? Müssen sie nicht. Zwar sieht der Beschluss der EU-Außenminister vor, dass die EU in Zukunft unabhängig von der Nato eigene militärische Einsätze planen kann. Im Kleingedruckten haben die Minister aber dafür gesorgt, dass aus den EU-Planungsstäben kein Konkurrenzunternehmen zur Nato erwächst. Nicht unbedingt das schlechteste Ende für ein Jahr, in dem auch schon einmal von der Spaltung der Nato die Rede war.

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