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Meinung: Nimm zwei

Schröder und Chirac tüfteln an der EU-Verfassung – heraus kommt ein Doppelkopf

Wesen mit doppeltem Kopf haben ja so ihr Schicksal: Der Doppeladler beispielsweise, der das Wahrzeichen des Habsburgerreiches war, landete auf dem Müllhaufen der Geschichte. Der Adler schaute gleichzeitig nach links und nach rechts, was am Ende auch das Problem der Donaumonarchie war: Sie war zu groß geworden und zerfiel. Nun will die Europäische Union zwar keine zweite K.u.K.-Monarchie werden, aber ihr Zusammenhalt ist trotzdem gefährdet. Denn wer könnte nach dem Vorschlag, den Kanzler Schröder und Frankreichs Präsident Chirac für den EU-Verfassungskonvent vorgelegt haben, schon sagen, wer der Herr im europäischen Haus ist?

Sicherlich braucht die EU keinen einsam regierenden neuen Kaiser, dem sich die Landesfürsten aus den Mitgliedstaaten unterzuordnen hätten. Der Londoner Europa-Staatssekretär Denis MacShane hat, in gewohnt britischer Ironie, schon zu Recht darauf hingewiesen. Die Bürger in der EU, die demnächst 25 Mitglieder umfasst, haben aber auch einen Anspruch auf durchschaubare Organisationsformen an der Spitze der Europäischen Union. Der Vorschlag, den Schröder und Chirac pünktlich zum Jubiläum des deutsch- französischen Freundschaftsvertrages vorgelegt haben, kommt diesem Bedürfnis nicht in allen Punkten entgegen.

Die Einzelheiten, die von dem gemeinsamen Vorstoß bislang bekannt sind, wecken gegenteilige Befürchtungen: Würde der deutsch-französische Vorschlag umgesetzt, dann hätte die EU in naher Zukunft nicht einen Kaiser, sondern zwei: einen Präsidenten der EU-Kommission, den die Wahl durch das Europaparlament stärken und zusätzlich legitimieren würde. Und einen Präsidenten, den die Staats- und Regierungschefs bestimmen. Endlose Kompetenzstreitigkeiten zwischen diesen beiden Personen dürften die Folge sein.

Deshalb ist es schwer vorstellbar, dass der deutsch-französische Vorschlag, an dem offenbar auch der britische Regierungschefs Tony Blair mitgewirkt hat, im Verfassungskonvent ohne weiteres durchgewunken wird. Die Konventsmitglieder sind zum Großteil Abgeordnete. Für sie ist die Vorstellung eines mächtigen EU-Präsidenten von Gnaden der Regierungschefs nicht sonderlich attraktiv.

Wenn aber nicht nur Europaabgeordnete Kritik an dem Vorschlag äußern, sondern selbst Außenminister Fischer keinen Hehl daraus macht, dass er lieber einen anderen Entwurf gesehen hätte, dann drängt sich ein anderer Verdacht auf: dass es Schröder und Chirac eine Woche vor den Feiern zum Jubiläum des Elysée-Vertrages vor allem um einen Formelkompromiss ging, der den guten Willen Frankreichs und Deutschlands bei der Debatte um Europas Zukunft dokumentiert.

Diese Kompromisssuche lässt sich leichter verstehen, wenn man einen Blick auf das Grundverständnis europäischer Institutionen in Deutschland und Frankreich wirft. Deutschlands Nachkriegsgeschichte ist von dem Bemühen gekennzeichnet, europäische Institutionen zu stärken. Das gilt vor allem für die EU-Kommission, die nicht nur über die EU-Verträge wacht, sondern auch einen Ausgleich zwischen großen und kleinen EU-Staaten bewirken soll. Erst im vergangenen Jahr freundete sich Kanzler Schröder mit der Idee eines mächtigen EU-Präsidenten an, die von seinen Kollegen Blair und Aznar kam – vor allem aber von Frankreichs Staatschef, für den die Stärkung des nationalstaatlichen Gedankens in der EU nie ein Tabu war.

Es sind gegensätzliche Ansätze, die sich nicht harmonisch miteinander verbinden lassen. Herausgekommen ist bei den Beratungen im Elysée-Palast in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ein Europa mit doppeltem Kopf.

Das hat allerdings auch sein Gutes. Das Zugeständnis des französischen Präsidenten, den Präsidenten der EU-Kommission künftig wählen zu lassen, würde auf lange Sicht auch den Europawahlen einen neuen Sinn verleihen. Bislang fristeten die Europawahlen in Deutschland ein Schattendasein und waren bestenfalls dazu geeignet, der Regierungspartei einen Denkzettel zu erteilen.

In der europäischen Außenpolitik könnte Schröder und Chirac sogar ein Wurf geglückt sein. Die Streitfrage, wer denn nun für Europas gemeinsame Außenpolitik verantwortlich zeichnet, die Kommission oder die Mitgliedstaaten, haben die beiden auf elegante Weise gelöst: sowohl als auch. Das Amt des künftigen EU-Außenministers übt freilich nur einer aus, nicht zwei. Die EU-Bürger werden es danken – und amerikanische Präsidenten in Zukunft auch.

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