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Immer streitbar - Norbert Lammert, Bundestagspräsident.

© dpa

Norbert Lammert und die Pressefreiheit: Alle sind doof

Norbert Lammert hat eine Rede über die Pressefreiheit gehalten. Er hätte es lassen sollen. Seinen Ruf als Unbequemer hat der Bundestagspräsident damit nicht gefestigt.

Für einen, der das Tatsächliche vom Vermeintlichen so scharf zu trennen vermag, wie Norbert Lammert es von sich in seinen Reden behauptet, hat der Bundestagspräsident eine staunenswerte Analyse geliefert. Es ging um ein Großthema des Grundgesetzes, die Pressefreiheit. Lammert wollte seinem Ruf als Unbequemer gerecht werden und wendete das Thema gegen die, die ihn eingeladen hatten, die Zeitungsverleger. So klagte er über den Vorrang von Bildern gegenüber Texten, von Schlagzeilen gegenüber Analysen, von Personen gegenüber Sachverhalten. „Entertainisierung“ nennt er das. Klickzwänge und Quotendruck – „als Entschuldigung für Qualitätsmängel reicht es nicht“.

Doofe Medien. Eine These, die allseits so zustimmungsfähig ist wie die von der doofen Politik, die Lammert sonst sehr ärgert. Vermutlich waren deutsche Parlamentarier noch nie so gut gebildet, qualifiziert und informiert wie heute, was auch an den sie umgebenden Medien liegen dürfte. Das Erklär- und Analyseniveau ist insgesamt zweifellos gestiegen, zumal ein Thema wie die Euro-Rettung ganz andere Ansprüche an Vermittlung stellt als, selige Mediensteinzeit, Wiederbewaffnung und Ölkrise.

Der von Lammert beklagte Sensationalismus gehört zum historischen Ursprung des Journalismus, wie nicht nur Zeitungswissenschaftlern bekannt ist. Dass es nicht die Dinge an sich sind, die aufregen, sondern die Ansichten über sie, folglich Unwichtiges wichtig werden kann, ist eine Einsicht der antiken Philosophie. Schließlich: Lammerts ewige Rüge, die Medien guckten nur auf die Exekutive statt aufs Parlament, hat etwas mit dem legislativen Initiativrecht der Regierung zu tun; es steht dem Chef-Parlamentarier frei, hier Änderungen anzuregen.

Lammert hat schon recht, der Pressefreiheit geht es hier prima im Jahr 65 des Grundgesetzes. Doch es ist wie im Übrigen auch: Die Voraussetzungen zu ihrem Gebrauch kann der Staat nicht garantieren. Er kann es jedoch unterlassen, diese weiter einzuschränken, wozu es gehören würde, sich etwa über die Ausbreitung des öffentlich-rechtlichen „Rundfunks“ im Internet Gedanken zu machen, jedenfalls soweit die Textberichterstattung betroffen ist. Hier gibt es alles, nur keinen Mangel an Grundversorgung.

Kein Thema für den sonst Nachdenklichen. So wenig wie sein Parlament, das Spannendes in nichtöffentlichen Ausschüssen versteckt. Man könnte die Protokolle nachlesen, denn die, so die Bundestagsverwaltung, sind „nicht einmal ein bisschen geheim“. Doch es wird gemauert und sich des pressefeindlichen juristischen Instrumentariums bedient, das das Bundesverwaltungsgericht den Behörden aufgrund ungeklärter Rechtslage seit anderthalb Jahren zur Verfügung stellt. Die Presse und ihre Freiheit – sie hat andere als Lammerts Probleme.

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