zum Hauptinhalt
Das Phantom hinter dem Schild. Über Wochen war über Cornelius Gurlitt nicht viel mehr bekannt als seine groben biografischen Eckdaten und die Außenansichten seiner Wohnsitze in München und Salzburg. Nun hat er erstmals mit einer Reporterin gesprochen.

© dpa

NS-Beutekunst: Cornelius Gurlitt verdient seine Bilder

Noch liegen alle Bilder aus Gurlitts Wohnung in staatlichen Kammern. Beschlagnahmt wegen Steuerhinterziehung. Aber bis zu 400 unverdächtige Bilder sollen ihm nun möglichst schnell zurückgegeben werden. Zu Recht – denn auch ihm ist Unrecht geschehen.

Es ist ein Idyll. Und wie fast jedes Idyll ist es der Umgebung abgetrotzt, gestohlen oder ohnehin gefälscht, liegt es in Wahrheit auf der dunklen Seite. In aller Stille hat der wunderliche Mann seine Bilder betrachtet, er hat mit ihnen gelebt, sie pfleglich behandelt, geschützt – und die Bilder haben ihn beschützt und bewahrt vor der Realität außerhalb seiner Schwabinger Eremitenklause.

Es sind Bilder und Werke von höchster Prominenz. Auf dem Kunstmarkt, der gerade wieder neue Auktionsrekorde feiert, würden sie ein Vermögen bringen. Der Mann verkaufte in Jahrzehnten von seinen Schätzen, die seine Gefährten waren, fast nichts; nur wenn er dringend Geld brauchte. Ein Schriftsteller wie W. G. Sebald, wenn er denn noch lebte, könnte mit seiner ruhigen, präzisen, nichts auslassenden Art das Drama des Cornelius Gurlitt erfassen.

„Die Ausgewanderten“ heißt eines der Bücher Sebalds, darin erzählt er Geschichten heimatloser, Heimat suchender Menschen. Eine dieser Geschichten handelt von einer jüdischen Kunsthändlerfamilie, die ihren Sohn 1939 im letzten Moment nach England schickt, in Sicherheit. Die Eltern wurden in einem deutschen Lager ermordet. Das ist die Realität, die an einer großen Zahl von Bildern haftet, die Cornelius Gurlitt „seine Bilder“ nennt.

Von insgesamt 1400 Werken könnten zwei Drittel geraubte Kunst sein. Kunstwerke, die jüdischen Eigentümern weggenommen oder für einen lächerlichen Preis abgekauft wurden. Noch liegen alle Bilder aus Gurlitts Wohnung in staatlichen Kammern. Beschlagnahmt wegen Steuerhinterziehung. Das ist alles nach wie vor nicht geklärt – ob und wie Cornelius Gurlitt beim deutschen Staat in Schuld steht, steuerlich. Bis zu 400 unverdächtige Bilder sollen ihm nun möglichst schnell zurückgegeben werden, erklärte am Dienstag die Staatsanwaltschaft Augsburg.

Gurlitt wurde in einem staatlichen Exzess in die Öffentlichkeit gezerrt

Das ist nur recht und auch ein bisschen billig. Denn die Beschlagnahme der Kunstwerke war ein staatlicher Exzess. Wegen eines Verdachts wurde ein Mensch in die Öffentlichkeit gezerrt und abgestempelt. Anderthalb Jahre lang geschah nichts. Die Behörden haben sich nicht anders verhalten als der Mann, den sie verfolgen. Die Beamten haben sich eingebunkert und ihre Augen vor der Welt verschlossen und fremdes Eigentum in Geiselhaft genommen. Jetzt erst wird auf Initiative der Bundesregierung eine Kommission – mit Vertretern der Jewish Claims Conference, die dies selbst fordern mussten – ernsthaft die Fragen der Provenienz und Restitution klären. Aber Erben sterben, das gilt auch für den herzkranken Gurlitt mit seinen 80 Jahren.

Es ist ein ungeheures Drama, das sich in München entfaltet, nach und nach. Und es bedarf ein wenig der Gurlitt’schen Langsamkeitsperspektive, um das gesamte Geschehen und eben auch das nicht Geschehene zu begreifen. Womöglich steht Gurlitt Entschädigung zu, Rückgabe von Bildern sowieso. Was für ein Hohn der Geschichte! Und wo sollen die Kunstwerke einmal hin, die ihm tatsächlich gehören? Wer spricht mit ihm? Wer macht ihm ein Angebot? In welche Museen werden sie einmal eingegliedert? Und was steht dann auf den Schildchen: Schenkung Cornelius Gurlitt?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false