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Das Foto zeigt ein Graffiti auf einer Tür an der ehemaligen Abhörstation der NSA auf dem Teufelsberg in Berlin. Der Text lautet: Knock before entering.

© Reuters

NSA-Affäre: Wir müssen über Internet-Entzug nachdenken

Die Enthüllungen über die Praxis der Geheimdienste zeigen: Es ist Zeit für ein Ende der Illusionen über das Netz. Dazu gehört das Eingeständnis, dass die meisten von uns es sich mit dem Internet leicht machen.

Die Lage ist überkomplex. Es fordert viel Phantasie, sich vorzustellen, welche Folgen die Datensammelaktion amerikanischer und britischer Dienste haben wird. Dass das Netz unser Leben mitbestimmt, haben wir doch längst akzeptiert. Dass Netz-Giganten wie Google und Facebook von deutschen Datenschutzidealen so weit entfernt sind wie der Intel-Prozessor 8086, Baujahr 1978, von unseren Smartphones, war immer mal Thema des Datenschutzbeauftragten. Je nun: Mehr als die Hälfte der Deutschen sagt, man müsse mit der Datensammelei leben, weil es der Terrorabwehr diene. Da hört man das bürgerlich-brave „ich hab’ nichts zu verbergen“ durch. Man könnte glauben, dass die Kanzlerin mit ihrem „erst mal die Fakten klären, dann reden wir“ den Deutschen aus der erschreckten Seele spricht.

Wir haben uns an die Datensammelei von Google und Facebook gewöhnt

Und doch kann es sein – muss es sein –, dass aus der Erregung über den amerikanisch-britischen Datensog einige Überlegungen zum Umgang mit dem Netz folgen. Die Freiheit, das zeigt sich jetzt, stirbt bit- und byteweise, mit all unseren E-Mails und Fotos und Google-Suchereien, die für einen kleinen Kreis gedacht waren und geheimdienst-öffentlich geworden sind. Unser Verständnis von privat und öffentlich ist nicht so zeitgemäß wie das der Sicherheitsbehörden jener befreundeten Staaten, die uns vor 68 Jahren die Segnungen der Freiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und die Möglichkeit verschafft haben, ein die Freiheit feierndes Grundgesetz zu beschließen.

Lesen Sie weiter über die Illusionen und den Mythos des Internets

Es ist Zeit für ein Ende der Illusionen über das Netz. Wozu das Eingeständnis gehört, dass die meisten von uns es sich leicht machen mit dem Internet. Wir lesen, dass unsere Daten zur Währung der Netz-Ökonomie geworden sind – und liefern per Navigationssystem mit jeder Autofahrt neue. Wer mag noch in einem zerknickten Stadtplan herumsuchen? Wir klicken uns durch Amazon-Warenlisten und Behördenformulare und denken in Kategorien des Postgeheimnisses: Hier wird doch wohl kein Brief geöffnet?! Wenn wir überhaupt noch nachdenken über Segen und Fluch des Netzes. Als vor ein paar Wochen Protestwellen gleichzeitig durch die Türkei und Brasilien rollten, haben sich ernsthaft Leute gefragt, ob es da Zusammenhänge gebe, weil die Protestierenden durch das Internet voneinander wussten.

Wir müssen über unseren persönlichen Umgang mit dem Netz nachdenken

Da tritt der Mythos vom Internet als Freiheitsbeförderungsmedium von Protest bis Porno an die Stelle logischen Denkens. Vielleicht gehört genau das zu dieser seltsamen Situation der mehrfachen Desillusionierung – erstens über die amerikanisch-britische Sicherheitspolitik und zweitens über die Kontrollierbarkeit dessen, was man als Einzelner im Netz anstellt. Es gehört zu dieser Situation, dass sie politisch offen ist. Die Partei, die den Internetkonzernen eine gute Internetpolitik entgegensetzen wollte, die Piratenpartei, hat nicht viel zu bieten. Die etablierte Politik, kaum besser informiert als die Bürger, produziert die üblichen Verdächtigungen übereinander.

Aber aus dieser unklaren Offenheit kann etwas werden. Nicht von jetzt auf gleich, aber von jetzt auf übermorgen. Die Politik zündet etwas Neues, wenn Druck entstanden ist. Warum nicht reden über eine Euro-Datencloud oder die Weitergabe von Bankkundendaten aus Europa? Warum nicht nachdenken über den persönlichen Umgang mit dem Netz, über ein bisschen Entzug? Es wird Zeit für ein paar Zweifel an der Unbeeinflussbarkeit der Internetentwicklung. Zweifel sind nicht stärker als Google. Aber es gibt sie schon viel länger.

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