zum Hauptinhalt

NSU-Morde: Wir waren zu autoritätsgläubig

Vor fast genau sieben Monaten endete das Treiben des NSU. Die Aufklärung in den Untersuchungsausschüssen zeigt: Die Polizei hat versagt. Aber auch die Zivilgesellschaft hat nicht rechtzeitig reagiert.

Von Frank Jansen

Fast auf den Tag sieben Monate ist es her, dass in Eisenach und Zwickau das Treiben der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ endete – und Deutschland einen Schock bekam. Inzwischen wird fleißig aufgeklärt, die Arbeit der Untersuchungsausschüsse und Kommissionen ist kaum noch zu überblicken. Und in wenigen Monaten will die Bundesanwaltschaft Beate Zschäpe und Unterstützer des Trios anklagen. Also alles wieder gut? Rechtsstaat und Gesellschaft arbeiten Fehler auf und beugen weiteren vor? Wenn es so einfach wäre.

Das Stadium des Entsetzens ist noch lange nicht vorbei. Allein die staatlichen Versäumnisse, die der Untersuchungsausschuss des Bundestages und die Schäfer-Kommission in Thüringen beleuchten, sind so gravierend, dass ein Ende des schmerzhaften Prozesses der Aufarbeitung nicht zu erkennen ist.

Die Republik kann nicht einfach hinnehmen, dass der Thüringer Verfassungsschutz nicht in der Lage war, die vielen Meldungen von V-Leuten zum abgetauchten Trio professionell auszuwerten und der Polizei die womöglich entscheidenden Tipps zur Ergreifung von Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu geben. Und es ist auch nicht nur ein Fall für die Geschichtsbücher, dass die von Bayern gesteuerte Sonderkommission mit dem unsensiblen Namen „Bosporus“ bei den Ermittlungen zu den neun Morden an Migranten in Kompetenzwirrwarr stecken blieb. Und dass der bayerische Verfassungsschutz nur zögerlich agierte und dass keine Staatsanwaltschaft den Generalbundesanwalt einschalten wollte. Obwohl es eine vergleichbare Mordserie zuvor nicht gegeben hatte.

Fairerweise muss man auch sagen, dass sich der Rechtsstaat lernfähig zeigt. Die Kooperation der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung rechter Gewalt wurde gestärkt. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft erscheinen effektiv – und sensibel. Die Ankläger haben jetzt selbst zwei mutmaßliche Helfer der Terrorgruppe aus dem Gefängnis entlassen, als die Haftgründe nicht mehr verhältnismäßig erschienen. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof bereits einen Verdächtigen freigelassen. Ein bemerkenswerter Vorgang: Gemäß dem Prinzip „Recht statt Rache“ zeigt der Staat Milde gegenüber Leuten, die ihn zerstören wollten.

Und was macht die Zivilgesellschaft? Da ist die Debatte über eigene Versäumnisse nicht weit gediehen. Wie konnte es sein, dass niemand, auch nicht die Medien oder Initiativen oder gar die Antifa, jemals intensiv diskutiert hat, ob die Morde an den Migranten rassistisch motiviert sein könnten? Eine Antwort wäre, dass selbst harte Kritiker der politischen Grundordnung doch autoritätsgläubig sind. Wenn Behörden unisono – trotz Bedenken – verkünden, die Mordserie sei wohl der organisierten Kriminalität zuzuordnen und die Opfer könnten an ihrem Tod mitschuldig sein, wird das geglaubt. Und keiner fragt. Alle sagen „Döner-Morde“.

Auch die Zivilgesellschaft hat sich ein Armutszeugnis ausgestellt. Und die Scham könnte größer sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false