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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

NSU-Prozess in München: Ein Gericht handelt mit deutscher Gründlichkeit

Wir in Deutschland kritisieren gerne, was in anderen Ländern passiert. Wir werden aber plötzlich blind, wenn es um Dinge geht, die hier falsch laufen. Daher ist es auch nur konsequent, türkischen Pressevertretern die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal des NSU-Prozesses nicht zu ermöglichen.

Bei der Debatte um das Verfahren des Münchner Gerichts zur Platzvergabe für Journalisten beim NSU-Prozess beschäftigt mich vor allem eines: Immer wenn ich in der Welt unterwegs bin, höre ich von den Menschen, wie sehr sie uns Deutsche um unsere Konsequenz und Gründlichkeit beneiden. Wir kritisieren vehement Menschenrechtsvergehen im Iran oder das politische Harakiri in Italien, die Finanzlöcher in Griechenland, Spanien und Portugal und fordern Gerechtigkeit für eine Punkband in Russland. Das tun wir, weil wir so unendlich unbefangener, gerechter und unbestechlicher sind als der Rest der Welt.

Wir Deutsche sehen uns als Maßstab der Demokratie, daher dürfen wir auch China, Nordkorea und all die anderen Staaten, die in unseren Augen Diktaturen sind, über alle Maßen von oben herab kritisieren. Nur wenn es vor unserer eigenen Haustür stinkt, werden wir plötzlich blind. In der Geschichte der NSU-Morde wurde konsequent weggesehen, vertuscht, gelogen, unterschlagen und betrogen. Ein Aufschrei der Millionen blieb aus.

Daher ist es auch nur konsequent, in unserer Kaltschnäuzigkeit den Pressevertretern des Herkunftslandes von acht Mordopfern die Berichterstattung aus dem Gerichtssaal nicht zu ermöglichen. Hießen diese kleingeredeten Nazi-Morde nicht ursprünglich Döner-Morde? Jetzt wird mir auch klar, warum: Man dreht den Spieß so lange, bis auch der letzte Fetzen Glaubwürdigkeit, Anstand, Sensibilität und Moral abgeschabt ist – Chapeau, meine Heimat!

Ich überlege schon fieberhaft, wie ich dieses haarspalterische und pedantische Vorgehen bei meiner nächsten Reise ins Ausland erklären kann. Mit der gedankenschweren Variante „das hat das Gericht unabhängig entschieden“ kommen wir Deutsche bestimmt durch. Das Verhalten wird uns ebenso in Gänze zugerechnet, wie wir das so gerne in der Bewertung der Umstände anderer Länder tun. Für alles gibt es eine juristische, eine politische und eine vernünftige Lösung. Als in Frankfurt am Main in den 60er Jahren die Auschwitz-Prozesse stattfanden, hat der Generalstaatsanwalt eine Turnhalle angemietet, um ausreichend Öffentlichkeit herzustellen.

Es geht bei diesem Prozess nicht um Public Viewing, sondern um eine Öffentlichkeit, die sich überzeugen kann, dass alles mit rechten Dingen, im Sinne von Rechtsstaatlichkeit, zugeht. Statt in Demut aufrecht zu handeln, versinken wir im Sumpf des Dienstes nach Vorschrift. Gründlich eben, aber gründlich daneben.

Wie gut hätte es Deutschland zu Gesicht gestanden, wenn die Behörden bei der Aufklärung der NSU-Morde mit der gleichen Entschlossenheit Gesetze, Richtlinien und Regeln angewandt hätten, wie dies jetzt das Münchner Oberlandesgericht unnachgiebig umsetzt. Vertrauen wird durch nichts stärker erschüttert als durch das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Oder wie mein Vater sagen würde: „Et kokarsa tuzlanir, ya tuz kokarsa ne yapilir?“ – Wenn das Fleisch stinkt, salzt man es ein, aber was tun, wenn das Salz stinkt?

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