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Meinung: Nuklearer Rohrkrepierer

Nordkorea ist ein Atomstaat ohne Atomwaffen – vorerst

Alexander S. Kekulé Jetzt ist es offiziell: Nordkorea hat am 9. Oktober einen nuklearen Sprengsatz gezündet. Das hat die Analyse radioaktiver Zerfallsprodukte in Luftproben ergeben, wie US-Geheimdienstdirektor John Negroponte am Montagabend mitteilte. Nordkorea ist es also als neuntem Staat gelungen, das atomare Höllenfeuer auf Erden zu entzünden – wie gefährlich ist der verteufelte Diktator Kim Jong Il dadurch geworden?

Seit dem Rauswurf der Inspekteure der Atomenergiebehörde IAEO im Jahre 2003 bastelt Pjöngjang ungehindert an der Bombe. Dafür kommen zwei Arten von Kernbrennstoff in Frage: Hoch angereichertes Uran und Plutonium.

Uranbomben haben den Vorteil, dass sie technisch wesentlich einfacher zu bauen sind. Es genügt eine Kugel aus 40 Kilogramm Uran mit einem Loch in der Mitte. In dieses wird, durch eine konventionelle Detonation, ein Bolzen von weiteren 15 Kilo Uran geschossen – das ist alles. Das dafür verwendete Uran-235 explodiert nämlich ganz von selbst, sobald die „kritische Masse“ von rund 50 Kilogramm erreicht wird. Allerdings ist Uran-235 schwierig zu gewinnen. Es ist in natürlichem Uranerz nur zu 0,7 Prozent vorhanden und muss auf über 90 Prozent „hoch angereichert“ werden, bevor es als Bombenstoff verwendet werden kann. Dafür werden hunderte von Gaszentrifugen benötigt, deren hochwertige Einzelteile Nordkorea nicht selbst herstellen kann. Gelingt die Anreicherung jedoch, steht Pjöngjang dank eigener Uranvorkommen fast unbegrenzt Bombenmaterial zur Verfügung.

Plutonium dagegen ist relativ einfach zu bekommen, weil es als Abfallprodukt in gewöhnlichen Kernreaktoren entsteht. Im Atomzentrum Jongbjon, etwa 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt, stehen alle nötigen Anlagen: Ein kleiner Fünf-Megawatt-Reaktor sowie eine Wiederaufbereitungsanlage, um das erbrütete Plutonium zu reinigen. Allerdings erfordert die Brüterei Geduld. Kim Jong Ils Atomforscher können pro Jahr gerade einmal sechs Kilo Plutonium gewinnen, ausreichend für eine einzige Bombe der kleinsten Größenklasse. Nach Schätzungen der Geheimdienste verfügt Pjöngjang derzeit über 35 bis 45 Kilo Plutonium, das der (zwischenzeitlich für neun Jahre abgeschaltete) Minireaktor seit 1987 erbrütet hat.

Daraus Atombomben zu bauen ist technisch jedoch schwierig. Wegen seiner starken Neutronenstrahlung neigt Plutonium nämlich zur vorzeitigen Zündung. Typische Plutoniumbomben bestehen deshalb aus 32 Einzelladungen, die in Form einer Hohlkugel angeordnet sind. Zur Auslösung der nuklearen Kettenreaktion müssen sie durch eine exakt gesteuerte konventionelle Detonation zur Implosion gebracht werden. In der Mitte der Hohlkugel ist zusätzlich eine starke Strahlungsquelle (beispielsweise ein Gemisch aus Polonium und Beryllium) als „Neutronenzünder“ angebracht, damit die Kettenreaktion genau im richtigen Augenblick startet. Bei vorzeitiger Zündung erreicht die Kettenreaktion nur einen Teil des Plutoniums, die Kernexplosion verpufft („fizzle“).

Um Atommacht zu werden, müsste Nordkorea also entweder die Urananreicherung oder die komplizierte Plutoniumbombentechnik beherrschen. Der von den Staatsmedien gefeierte Atomtest beweist jedoch: Pjöngjang kann keines von beidem.

Die Analyse der Zerfallsprodukte zeigte nämlich (so die „New York Times“), dass Plutonium als Bombensprengstoff verwendet wurde. Also besitzt Nordkorea derzeit keine Möglichkeit zur Urananreicherung, sonst hätte es nicht den äußerst schwierigen Bau einer Plutoniumbombe versucht.

Doch offenbar beherrscht Pjöngjang auch die Plutoniumtechnik nicht. Die von Seismografen gemessene, winzige Erschütterung von weniger als einer Kilotonne TNT liegt weit unterhalb der Sprengkraft der kleinsten Plutoniumbombe, die Nordkorea technisch bauen könnte – die kritische Masse von sechs Kilo Plutonium würde eine Detonation von etwa 22 Kilotonnen ergeben, entsprechend der Größe der Nagasaki-Bombe. Alle Daten sprechen also dafür, dass es nur zu einer nuklearen Verpuffung kam.

Kim Jong Il braucht also bessere Bombentechnik für Plutonium oder eine Wiederaufbereitungsanlage für Uran, um wirklich gefährlich zu werden. Bis dahin ist noch Zeit, mit dem Teufel zu reden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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