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Meinung: Nur Blondinen braten

Pascale Hugues, Le Point

Nein, ich habe nicht das Recht, an dieser Stelle über den Wahlsalto zu philosophieren, den uns Gerhard Schröder soeben vorexerziert hat. Es ist mir auch untersagt, das morgige Referendum der Franzosen zu analysieren. Eine Leserin aus Münster hat mir aus der Tiefe ihrer fernen Küche einen wütenden Brief geschickt, in dem sie mir nahe legt, fortan der politischen Glosse abzuschwören und mich stattdessen auf das Schreiben von Kochkolumnen zu beschränken.

Was für eine merkwürdige Idee, aus einer der beneidenswertesten Begabungen, die es überhaupt gibt, eine abschätzige Beleidigung machen zu wollen. Kochen, scheint diese Dame sagen zu wollen, ist eine Verschwendung nobler Zeit, die für das Denken reserviert sein sollte, eine überflüssige Beschäftigung für gedankenarme Blondinen und analphabetische Matronen. In diesem Land wird eine Frau, die mit ihrem Baby vor dem Computer sitzt (diese verlogene Werbung treibt mich zur Verzweiflung! Haben ihre genialen Erfinder schon einmal versucht, mit einem Kind auf den Knien, das nach allem seine Finger ausstreckt, einen sinnvollen Text zu tippen?) sozial höher eingeschätzt als eine Frau, die am Herd einen traumhaften Hasenpfeffer zaubert. Was für einen Mann sexy und modern ist, gilt bei Frauen als Zeichen von mangelnder Emanzipation. Oh, ihr Furcht erregenden Matadore des Osso Bucco, die ihr vor euren sprachlosen Gästen umherstolziert, während eure Aschenputtel in der Küche die Töpfe scheuern! Wo sind die Schwestern von Wolfram Siebeck und Jamie Oliver?

Dieser Brief hat mich die ganze Woche über nicht losgelassen. Heutzutage kann man kaum den Fernseher einschalten, ohne über irgendeine „Tatort“-Kommissarin mit wehender Schürze zu stolpern, die unter dem elektrisierten Blick eines Talkmasters mit rosafarbener Krawatte Zucchini zerhackt. Die Realität der familiären Küchen sieht derweil weniger glamourös aus als auf den Bildschirmen: 60 Prozent der Deutschen wissen nicht mehr, wie man einen Braten zubereitet. Wie viele Kinder treten heutzutage in Hungerstreik, sobald auf ihren Tellern etwas anderes landet als triste Butternudeln oder trockene Fischstäbchen? Bei wie vielen Jugendlichen ersetzen Cornflakes das Abendessen? Mikrowellenherde und Tiefkühlschälchen stehen im Begriff, Kochtöpfe und Holzlöffel abzulösen. Die Küchen sind geruchsfrei, die Mahlzeiten effizient geworden. Keine Saucen, keine Gewürze mehr, die auf der Zunge zergehen. Der Hasenpfeffer ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Es ist eine ganze Kultur, die da zu sterben droht, wenn wir nichts dagegen unternehmen. Ist sie abgelaufen, jene Zeit der großzügig begossenen Familienmahlzeiten, die sich bis in den Abend ziehen? Gehört er bald der Vergangenheit an, jener Duft von Knoblauch, der vormittags durch die Wohnungen zieht? Wird man sie bald nicht mehr finden, jene Schale mit Birnen, die auf dem Fensterbrett friedlich in Rotweinsirup und Gewürzen vor sich hin marinieren? Und werden fortan in der Intimität der heimischen Küchen nie mehr Rezepte zwischen zwei geschälten Kartoffeln ausgetauscht?

Zum Glück gibt es in unserer Stadt noch ein paar sympathische Don Quichotes, die den Kampf nicht aufgeben wollen. Sie verstecken sich dort, wo man sie am wenigsten erwartet. Nehmen wir zum Beispiel den Direktor des Französischen Gymnasiums, dieser alten, ehrwürdigen Blüte der humanistischen Berliner Erziehung. „Es gibt da noch etwas ganz Wesentliches, mit dem wir die Erziehung unserer Kinder perfektionieren könnten“, vertraute er mir neulich mit aufgeregtem Gesichtsausdruck an. Ich dachte, er würde sich in ein pedantisches Plädoyer für das Altgriechische stürzen, oder seine Zöglinge dafür verdammen, dass sie den vulgären Konsum von Star-Wars-Filmen dem raffinierten Genuss von Ovid im Original vorziehen – kurz: Ich dachte, er würde der gewaltigen Pyramide der Pisa-Katastrophe einen weiteren Stein hinzufügen. Aber ich irrte mich. Der Direktor beklagte den Verlust einer uralten Weisheit: der des Geschmacks. Er will seinen Schülern das simple Vergnügen beibringen, gut zu essen. Eine dringende Mission, wenn man bedenkt, dass in Berliner Mensen zerkochter Auflauf und zäher Nudelsalat als Gourmet-Menüs serviert werden. Die Leserin aus Münster hat Recht: In Zukunft heißt diese Kolumne nicht mehr „Mon Berlin“, sondern „Mein Hasenpfeffer“.

Für ihre Kolumne „In den Vorgärten blüht Voltaire“ (erschienen am 24. Juli 2004) erhält unsere Autorin den Deutsch-Französischen Journalistenpreis.

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