zum Hauptinhalt

Obama und der Raketenschild: Eine Chance für die Diplomatie

US-Präsident Obama gibt die Pläne für einen Raketenschild in Europa auf. Sie ist für ihn eine Technik, die (noch) nicht funktioniert gegen eine Bedrohung, die noch nicht unmittelbar existiert.

Maßgeblich für die Wirkung internationaler Politik ist nicht allein die Lage. Ebenso wichtig ist die Wahrnehmung in den betroffenen Ländern. Die folgt nur begrenzt den Fakten. Das zeigt die Debatte um die Raketenabwehr – erst deren Forcierung unter George W. Bush und nun der Kurswechsel unter Barack Obama. Ginge es um die Sache, müsste der Grad der Bedrohung durch den Iran im Mittelpunkt stehen. Entweder hatte Bush recht: Der Iran baut erfolgreich an der Bombe und an weit reichenden Trägerraketen, mit denen er schon bald Israel, Europa und die US-Stützpunkte dort erreichen kann. Dann muss man sich dagegen vorsehen, selbst wenn man Bush ablehnt. Oder Obama liegt mit seiner Neubewertung richtig: Teheran kommt mit der Raketentechnik nicht so rasch voran wie befürchtet. Dann kann man auch die Abwehr aufschieben – nicht: aufgeben! – und der Diplomatie eine Chance geben, den Iran mit Anreizen und Sanktionen von seinen Plänen abzubringen.

Bush hat sich mit seiner Sicht nie durchgesetzt. Aus der Raketenabwehr gegen den Iran wurde in der internationalen Perzeption ein Affront gegen Moskau und der Schulterschluss mit neuen Verbündeten in Mitteleuropa, voran Polen und Tschechien. Obama geht es nicht besser. Auch jetzt, da er die US-Pläne modifiziert, steht nicht der Iran im Mittelpunkt der Reaktionen, sondern die angenommene Rückwirkung auf die jeweilige Nation, oft in übertriebener Form, etwa: Einigt sich Amerika mit Russland auf Kosten Mitteleuropas, 70 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt und 64 Jahre nach Jalta, wo Ost und West ihre Einflusssphären absteckten?

Dabei wägt Obama nur nüchtern US-Interessen ab. Die Raketenabwehr ist für ihn eine Technik, die (noch) nicht funktioniert gegen eine Bedrohung, die noch nicht unmittelbar existiert, zu Kosten, die sich nicht kontrollieren lassen. Die Standorte Polen und Tschechien verhindern zudem eine Einigung mit Moskau auf schärfere Sanktionen gegen den Iran. Also wird das Projekt in Polen und Tschechien gestoppt, weil die Kosten höher sind als der Nutzen. Wenn die Raketenabwehr gebraucht wird, kann man sie auf See verlegen oder in die Türkei.

Mit der Wahrnehmung des Kurswechsels wird er dennoch zu kämpfen haben. Ostmitteleuropa ist enttäuscht und fühlt sich im Stich gelassen. Dabei ging es den Polen nie um die Abwehr gegen den Iran, sondern darum, amerikanisches Militär nach Polen zu bekommen, als Absicherung gegen Moskau. Irgendeinen Ersatz wird auch Obama anbieten. Ein Nebeneffekt der Wende: Die Enttäuschung über Amerika führt Polen und Tschechen wieder enger an Westeuropa. Die Spaltung der EU in den Bush-Jahren geht zurück, zumindest ein bisschen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false