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Obama und Deutschland: Doch nur der nächste Bush?

Für Angela Merkel und viele Deutsche ist klar: Die Finanzkrise kommt aus den USA, deshalb muss Amerika sie auch lösen. Malte Lehming über den neuen deutsch-amerikanischen Streit.

Ist die Finanzkrise für Angela Merkel, was der Irakkrieg für Gerhard Schröder war - ein elementarer Grund, das Verhältnis Deutschlands zu den USA schwer zu belasten? Man braucht die Frage nicht uneingeschränkt mit Ja zu beantworten, um trotzdem sehr besorgt zu sein. Natürlich werden die Europäer auf dem G-20-Treffen in dieser Woche in London den neuen amerikanischen Präsidenten feiern und lobpreisen. Es wird schöne Bilder geben und demonstrative Einigkeit. Aber der Zwist hinter den Kulissen schwelt weiter. Barack Obama verlangt von Deutschland und Europa ein viel massiveres finanzielles Engagement zur Konjunkturbelebung als bisher; Merkel und die EU verweigern sich und drängen statt dessen die Amerikaner zu einer rigiden Regulierung der Finanzmärkte.

Keine Frage: Merkel hat gute inhaltliche Argumente auf ihrer Seite. Aber die hatte Schröder auch, als George W. Bush zum Irakkrieg blies, und er wurde dennoch unlauterer Argumente bezichtigt – nicht zuletzt von Merkels CDU. Denn Schröders Anti-Irakkriegshaltung war auch wahltaktisch motiviert und nicht ganz frei von pauschaler Amerikaphobie. Doch hoppla! Merkel steht ebenfalls im Wahlkampf, und ihr trotziges Selbstbewusstsein gegenüber der US-Regierung ist in Deutschland wohl mindestens ebenso populär, wie es Schröders Anti-Irakkriegskurs war. Sie formuliert ihre Einwände freilich nicht aggressiv, sondern subversiv. Wenn sie ihren Finanzkurs verteidigt, lässt sie gerne augenzwinkernd die Bemerkung fallen, man dürfe nicht vergessen, wo die Krise ihren Ausgang nahm. Den Namen des Bösewichts muss sie nicht nennen, weil jeder Zuhörer weiß, dass sie die USA meint.

Obama spricht von einer globalen Krise, die globale Antworten verlangt. In Deutschland teilt man zwar den ersten Teil seiner Analyse (globale Krise), nicht aber den zweiten (globale Antworten). Denn für die Deutschen ist es eine globale Krise, die in erster Linie von den USA gelöst werden muss, weil sie dort entstanden ist und verursacht wurde. Deutsche Finanzunternehmen, die in windige Spekulationsgeschäfte verstrickt waren, gelten als Verführte, als schwache Opfer also, während die amerikanische Immobilienblase das Ergebnis gerissener Verführer war, die nun bestraft werden müssen.

Jetzt reklamiert das verführte Opfer das Recht, sich künftig verweigern zu dürfen – keine neuen Konjunkturprogramme. Und vom Täter, den USA, verlangt es, nie weder verführerisch sein zu dürfen – durch „mehr Transparenz auf den Finanzmärkten, die Deutschland bereits frühzeitig gefordert hat“, wie Merkel sagt.

Riesengroß war die Hoffnung: Mit der Wahl Barack Obamas sollte der transatlantische Graben, der unter Bush immer breiter geworden war, endlich überbrückt werden. Das könnte sich nun, in der Finanzkrise, als Illusion erweisen. Die Deutschen sehen sich von den USA in Geiselhaft genommen, ihr Frust braucht ein Ventil. „Ist Obamas Gigantismus die Fortsetzung von Bush mit anderen Mitteln“? fragen sie. Ähnlich drastisch, wie der Republikaner auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagierte, scheint sein Nachfolger nun auf die „Weltkrise“ zu reagieren – und beide verlangen von den Alliierten unbedingte Gefolgschaft. Irren die Neo-Keynesianer in diesen Tagen, wie einst die Neokonservativen irrten? Ist nicht amerikanischer Gigantismus das größte Problem?

Auch in der Motiverforschung der Amerikaner gelangen die Deutschen heute zu ähnlich düsteren und abstrusen Ergebnissen wie im Vorfeld des Irakkriegs (Gier nach Öl). Das Magazin „Spiegel“ veröffentlichte am 9. März 2009 eine Titelgeschichte zum Thema: „Der Jahrhunderfehler – wie die Pleite einer einzigen Bank die Weltkrise auslöste“. Darin wird suggeriert, dass die US-Regierung die Investmentbank Lehman Brothers absichtlich zusammenbrechen ließ. Und warum? „Deutschland war offenbar das Hauptziel der Spekulationen, weil Zertifikate dieser Art in Deutschland erlaubt sind, anders als in Frankreich oder den USA.“ Und: „Vieles spricht dafür, dass Banken es beim Handel mit Lehman-Zertifikaten gezielt auf das Geld unwissender deutscher Rentner abgesehen hatten.“ Diese Lesart der Ereignisse ist in Deutschland weit verbreitet. Auch das Oberhaupt der protestantischen Kirche, Bischof Wolfgang Huber, vertritt sie.

Immer stärker entlädt sich in Europa die diffuse Wut über die Krise und ihre Folgen in sozialen Unruhen. Man blicke nach Griechenland, Frankreich, Irland, Island, Osteuropa. Und je länger die Krise dauert, desto lauter werden die Hinweise auf ihren Verursacher, die USA. Obama mutiert zum Blitzableiter für das europäische Donnergrollen. Wenn er nun zum erstenmal als US-Präsident den alten Kontinent bereist, werden ihm die Massen gewiss nicht mehr so zujubeln wie im vergangenen Sommer in Berlin rund um die Siegessäule. George W. Bush war es vor dem Irakkrieg gelungen, Europa in ein altes Europa und neues Europa zu spalten. Gegen Barack Obama hält der Kontinent in der Finanzkrise geschlossen zusammen.

Dieser Text erschien zuerst im „Wall Street Journal Europe“. Copyright (c) 2009, Dow Jones & Company, Inc.

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