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Papst zum Missbrauch: Klar und doch nicht klar genug

In seinem Hirtenbrief geht Benedikt XVI. das derzeit brennendste Kirchenthema provinziell an: Er richtet sein Schreiben ausschließlich "an die Katholiken Irlands" und blendet die Situation in anderen Ländern derart aus, als wäre dort nie etwas gewesen. Trotzdem hätten seine Worte nicht härter sein können.

Erst vor vier Tagen, als in Deutschland die Kritik am „schweigenden Papst“ immer stärker wurde, war Robert Zollitsch für Benedikt XVI. in die Bresche gesprungen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz rief – zu Recht – in Erinnerung, dass es „nicht den Papst für Deutschland und nicht den Papst für Spanien“ gebe: „Es gibt nur den einen Papst für die weltweite Kirche.“

Nun hat Benedikt XVI. seinen „Hirtenbrief“ veröffentlicht, und es zeigt sich, dass der Papst das derzeit brennendste Kirchenthema provinzieller angeht, als Zollitsch das vermutet hat. Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfe gegen Kirchenleute werden derzeit in etlichen Ländern lauter als je zuvor, aber Benedikt richtet sein Schreiben immer noch ausschließlich „an die Katholiken Irlands“. Und nicht nur das: Er blendet die Situation in anderen Ländern derart aus, als wäre dort nie etwas gewesen. Dabei hätte Benedikt lediglich einen Halbsatz einfügen müssen, etwa, er wünsche, dass seine Mahnungen auch in den anderen betroffenen Ländern gehört würden. Damit hätte er zu erkennen gegeben, dass die größere, die „globale“ Schwere des Problems zu ihm vorgedrungen ist. So aber ist er ein Papst für Irland geworden.

Trotzdem: An Benedikts Worten wird sich auch in Deutschland, Österreich oder den Niederlanden kein Kirchenmann mehr vorbeimogeln können. Sie hätten nicht härter sein können. Den schuldigen Priestern und Ordensleuten gönnt der Papst keinerlei mildernde Klausel: „Ihr habt das Vertrauen verraten, das unschuldige Jugendliche und ihre Eltern in euch gesetzt haben; Ihr habt die Achtung des Volks verloren, Ihr habt Schande auf Eure Mitbrüder ergossen. Ihr müsst Euch dafür verantworten vor dem allmächtigen Gott und den weltlichen Gerichten.“

Die Bischöfe müssen sich vorhalten lassen, sie hätten mit jahrzehntelanger Vertuschung „schwere Führungsirrtümer“ begangen. Den Opfern, denen „niemand zugehört“ habe, als sie von ihren Leiden erzählten, drückt Benedikt XVI. „im Namen der Kirche offen die Scham und die Reue aus, die wir alle empfinden“. Das Wort „Entschuldigung“ taucht nicht auf; für derartige Verbrechen, weiß Benedikt als Theologe, kann sich im menschlichen, gesellschaftlichen Sinne keiner von sich aus ent-schuldigen – „nichts kann das Böse auslöschen, das Ihr ertragen habt“, schreibt der Papst an die Opfer.

Nach Benedikts Empfinden sind wohl so manche der Entschuldigungsbitten, wie sie heute in fast inflationärer Weise von allen Möglichen für alle möglichen Vergehen verlangt und vorgetragen werden, oberflächliche, leere Rituale, die letztlich alles beim Alten lassen. Wenn, so denkt der Papst, dann kann einem Schuldigen höchstens verziehen werden, von anderen, von Gott, vom Volk, dann aber nur auf einem „langen Weg der Heilung, der Erneuerung, der Wiedergutmachung, auf dem noch viel zu tun ist“.

Und was schlägt Benedikt konkret vor? Päpstliche Kontrollkommissionen für einzelne Diözesen, eine Neu-Missionierung erstmals nicht des Kirchenvolks, sondern der Priester, Ordensleute und Bischöfe. Die Krise erblickt der Papst also – ganz anders als der Kölner Kardinal Joachim Meisner – nicht in der öffentlichen Erregung über die Kirche oder in der erwarteten Austrittswelle, sondern in einem verminderten Glauben der Amtsträger selbst. Das ist eine für den Vatikan gänzlich neue Perspektive.

Den Gläubigen rät der Papst zur „Verstärkung der Ewigen Anbetung“, oder zur „besonderen Widmung des Freitagsopfers für ein Jahr“. Auch hier bleibt Benedikt sehr irisch: Solche Frömmigkeitsformen spielen in säkularisierten Gesellschaften wie der deutschen fast keine Rolle mehr. Wer, außerhalb traditioneller Katholikenkreise, weiß noch, was das „Freitagsopfer“ ist? Das heißt: Benedikts Vorschläge an die Gläubigen, so sehr sie auf die Mitte des Glaubens und auf eine radikal selbstkritische Erneuerung des Denkens zielen, können außerhalb Irlands als blass erscheinen; als „stark“ vermittelbar sind sie einer deutschen Gesellschaft jedenfalls nicht.

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