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Parteitag der Piraten: Wie schlagen sich die Hoffnungsträger?

© dapd

Parteitag der Piraten: Schluss mit dem Gerede

Dass sich die Piraten mittlerweile klar gegen Extremisten in ihren Reihen aussprechen ist gut, reicht aber nicht aus. Auf ihrem Parteitag müssen sie zeigen, dass sie den Erwartungen, die sich an sie richten, gewachsen sind.

Vielleicht könnte das die Piraten weiterbringen: noch ein wenig Klassikerlektüre am Morgen vor dem heute beginnenden Bundesparteitag in Neumünster. Noch einmal rauskommen aus den Echoschleifen der parteiinternen Endloskommunikation. Den Kopf freibekommen, eine Außensicht auf das eigene Gewusel entwickeln. Eine Lektüreempfehlung wäre da – wenn auch wenig originell – Goethes „Faust“, genauer der Monolog im Studierzimmer. Wie Faust da wortreich anfängt, die Bibel umzuformulieren, weil er glaubt, das Wort „so hoch unmöglich schätzen“ zu können, als dass es am Anfang von allem stehen könne, das erinnert doch irgendwie an jene Partei, die zu viele Worte hat, um einzelnen das notwendige Gewicht beizumessen.

Diese Piraten wollen in den Bundesvorstand

Nicht zuletzt darum wird es den zahlreichen Beobachtern an diesem Wochenende gehen: Welche Worte machen die Piraten – und wie verhalten sie sich zu den gesagten? Werden sie fortfahren, geschichts- und problemvergessen durch den Sprachraum zu tapsen – um danach zu demonstrieren, wie anders sie die Bedeutung ihrer selbst für politische Neulinge zu oft unbedachten Äußerungen einschätzen als die etablierte politische und mediale Öffentlichkeit hierzulande? Nämlich als Kinkerlitzchen, der Transparenz geschuldete Minimal-Fauxpas, deren umfassende Ächtung eine zu große Einschränkung des hehren Freiheitsbegriffs der Partei bedeuten würde.

Mehr noch als in den programmatischen Lücken, die auf dem Parteitag zu schließen aussichtslos erscheint angesichts der zu erwartenden Personaldiskussionen, liegt hierin der Zugang zu der alles entscheidenden Frage: Sind die Piraten anschlussfähig an das deutsche politische System? Nicht in der Hinsicht, dass sie mit Technik und Idealismus die Demokratie bereichern wollen. Das wird schon irgendwie klappen. Auch nicht, weil ihnen ernsthaft eine rechte Gesinnung vorzuwerfen wäre. Sondern schlicht, weil – das wird zunehmend deutlich – ihre politische Kultur auf eine Art anders ist, die weit über Fragen von Transparenz und direkter Demokratie hinausgeht.

Schon jetzt zeichnet sich in der Beschäftigung mit den Piraten ab, dass man ihnen in ihrer jetzigen Verfasstheit mit etablierten Maßstäben nicht beikommt. Auf eine Partei, die durch ihr anhaltendes öffentliches Gerede permanent Öffentlichkeit produziert, ist die Debatte nicht vorbereitet. Die Folge: Die Diskussion wird erst hysterisch – und droht dann, vollends abzustumpfen. Dabei greift für die Piraten noch der Welpenschutz. Bald schon könnte ihre Etablierung die Gesellschaft vor weitere Fragen stellen: Will sie, um eine neue demokratische Alternative zu haben, in Kauf nehmen, dass Tabus in den Status von Bagatellen abrutschen – schlicht aufgrund der Frequenz, mit denen Tabubrüche kundig werden? Und dass dabei im Überfluss der Wörter die einzelnen an Bedeutung verlieren?

Die Piraten selbst sind hier natürlich am meisten gefordert: Dass sie sich, wie sie nun gebetsmühlenartig wiederholen, gegen Extremismus aussprechen, reicht nicht, wenn sie nicht anerkennen, dass auch unbedachte Worte extreme Wirkung entfalten können – und sei es nur, indem der stete Verweis auf ihre Unbedachtheit den politischen Diskurs aufweicht. Ein klares Bekenntnis tut not – für einen nicht zuletzt geschichtsbewussten Umgang mit dem Medium Sprache. Sein faustisches Potenzial gilt es anzuerkennen, zu achten, vielleicht sogar zu fürchten. Sonst bleibt hoffentlich alles, was die Piraten betrifft, das, was es, zum Glück für die Partei, derzeit ist: Gerede.

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