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Meinung: Partisanen an der Macht

Eine Jahr große Koalition: Warum die Regierung sich kleiner macht, als sie ist

Ein Jahr große Koalition, aber kein Korken knallt. Im Gegenteil, passend zum schwarz-roten Jahrestag erscheinen Umfragen, in denen beide Volksparteien bei 30 Prozent liegen, also dort, wo Zweifel daran aufkommen, ob der Begriff „Volkspartei“ noch angemessen ist. Ein niederschmetternder Befund. Fragt sich nur: Womit haben die Kanzlerin und ihr Vize das verdient?

Von der Außenpolitik muss an dieser Stelle nicht die Rede sein, denn die ist Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier recht gut gelungen. Und in der Innenpolitik? Nun, die einen mögen mehr Reformen erhofft, die anderen mehr befürchtet haben – aber sehen lassen kann sich die Bilanz: Rente ab 67, Elterngeld, ein ansehnliches staatliches Investitionsprogramm, die multikulturelle Wende mit dem Islamgipfel, zuletzt die Unternehmensteuerreform. Auf der anderen Seite eine ungeliebte Mehrwertsteuererhöhung sowie eine Gesundheitsreform, die kein Mensch versteht und die sich darum nur in der Praxis rehabilitieren kann. Sagen wir mal so: Es hat schon erste Jahre von neuen Regierungen gegeben, die weniger produktiv waren. Warum also dann der negative Befund?

Die Regierung Schröder musste erleben, dass man in der zeitlichen Lücke zwischen der Verabschiedung von Reformgesetzen und dem Eintreten ihrer möglicherweise heilsamen Wirkungen mal eben die Macht verlieren kann. Vorausgesetzt, die äußeren Daten, die Konjunktur, die allgemeine Gemütsverfassung der Deutschen oder das Wetter sind gegen einen. So ist es aber bei der großen Koalition keineswegs. Vielmehr profitiert sie ungemein davon, dass die Wirkungen einiger Schröder’scher Reformen nun endlich eingetreten sind. Auch die Konjunktur meint es so gut mit Schwarz-Rot, dass sie die Steuern sprudeln und die Arbeitslosenzahlen sinken lässt.

Wenn aber das schlechte Image der großen Koalition weder auf einen Mangel an Tatendurst noch auf schlechte äußere Daten zurückgeführt werden kann, worauf dann? Was stellen die da eigentlich an, um aus einem Elfmeter ein Eigentor zu machen? Das muss etwas mit der Kommunikation zu tun haben, damit, wie sich die Koalition den Bürgern darstellt.

In der großen Koalition konkurrieren zwei Strategien. Zum einen die Endspurtstrategie. Sie besagt, dass SPD und Union jetzt erst mal ein paar Jahre möglichst konstruktive und rechtschaffene Politik machen sollten, damit beide wieder in die Nähe von 40 Prozent kommen. Schließlich – gegen Ende 2008, Anfang 2009 – soll man die Konkurrenz wieder eröffnen und dann sehen, wer im Endspurt die Nase vorn hat. Die Endspurtstrategie wird beispielsweise vertreten von Franz Müntefering, Angela Merkel, Finanzminister Peer Steinbrück und Kanzleramtschef Thomas de Maizière. Unglücklicherweise wird diese Politik auch fast nur von diesen vieren praktiziert.

Darum hat sich vorerst die sogenannte Partisanenstrategie durchgesetzt. Ihr zufolge versucht jeder, jeden Tag die Nase vorn zu haben, es herrscht ein ständiger Kleinkrieg aller gegen alle, besonders aber Rot gegen Schwarz. Ob die eigene Partei dadurch bei 40 Prozent liegt oder bei 30, ist unerheblich, Hauptsache, die anderen haben einen halben Prozentpunkt weniger. Und, was das Wichtigste ist: Das Schlechtmachen des anderen ist die wichtigste Waffe. Diese Partisanenstrategie wird zwar von niemanden offen vertreten, aber von fast allen praktisch verfolgt.

Damit wäre das großkoalitionäre Rätsel von den guten Konjunkturdaten, der passablen Politik und dem verheerenden Image zur Hälfte gelöst. Fehlt noch eine Frage: Warum setzt sich die vernünftige Endspurtstrategie nicht gegen die selbstzerstörerische Partisanenstrategie durch?

Dazu hat die Bundeskanzlerin eine Theorie entwickelt. Die teilt die kurze Geschichte der großen Koalition in drei Phasen auf. Zunächst herrschte überschießende Euphorie, die etwa bis Mai dauerte. Dann folgte die Phase der Destruktion, die bis zum Ende der Gesundheitsdiskussion anhielt. Und nun, so Merkels Theorie, folge die dritte Phase, in der die Koalition endlich ihr Maß und ihre Mitte gefunden habe. Merkels Antwort auf die Frage, warum sich die Partisanenstrategie durchgesetzt hat, lautete also: Das war eine psychologisch verständliche Phase der Desillusionierung, die so nicht wiederkehren wird. Bald wird die Endspurtstrategie obsiegen.

Leider spricht bisher nicht viel für ihre These. Zwar konnte die Koalition auf fast mustergültige Weise die Unternehmensteuer über die Bühne bringen. Doch gleich danach brannte – überwiegend sinnloser – Streit los über: das Arbeitslosengeld, die Türkei, die Bundeswehr, die Reformfähigkeit im Allgemeinen und einiges mehr. Wieso?

In der Politik ist es ratsam, zuerst nach Interessen zu fahnden. Welches Interesse hat beispielsweise der SPD-Vorsitzende Kurt Beck? Er will Kanzler werden und hat zwei Möglichkeiten, das zu erreichen: entweder durch eine reguläre Wahl am Ende der Legislaturperiode oder durch einen Koalitionswechsel hin zu einer Ampel. Bei der Wahl hat Beck ein Problem: Merkel hat ihm das Amt voraus, den Kanzlerbonus. Darum ist es für Beck wichtig, sich die zweite Option offenzuhalten – den Bruch der Koalition. Das kann er jedoch nur, wenn die große Koalition nie populär wird, wenn sie stets labil bleibt. Der Kanzler in spe verhält sich folglich so konstruktiv wie nötig und so destabilisierend wie möglich. Darum fängt er immer, wenn es in Berlin mal ruhig zu werden droht, eine Koalitionsdebatte mit FDP und Grünen an. Oder etwas anderes, was die Partisanen aus den Löchern treibt.

Natürlich gibt es diese Tendenz auch in der schwarzen Ausfertigung. Hier sind es die berüchtigten Ministerpräsidenten, die im Bund mit Fleiß ihre Partikularinteressen verfolgen. Zu denen gehören echte, handfeste Länderinteressen ebenso wie das unbändige Bedürfnis nach bundesweiter Publizität, die sich vorzugsweise durch Streit herstellen lässt. Nicht zuletzt wollen einige von ihnen die Option offenhalten, vielleicht selbst mal Kanzler anstelle der Kanzlerin zu werden. All das führt ebenfalls dazu, dass die große Koalition ständig kleingeredet wird und kaum eine Reform das Licht der Welt erblickt, ohne dass Buhrufe ertönen. Die Reformen versteht das Publikum meist nicht richtig, die Buhrufe schon. Daher das schlechte Image der Koalition. So einfach ist es dann doch.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“.

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