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Meinung: PDS-Debatte: Historischer Pragmatismus

Führende Sozialdemokraten in Berlin und auf Bundesebene argumentieren eigenwillig zwiespältig, wenn es um den politischen Schulterschluss mit der PDS geht. Eigentlich gehe es ja um eine ganz andere Frage, nämlich um die Ablösung der völlig zerrütteten Großen Koalition in Berlin durch ein neues Politikangebot.

Führende Sozialdemokraten in Berlin und auf Bundesebene argumentieren eigenwillig zwiespältig, wenn es um den politischen Schulterschluss mit der PDS geht. Eigentlich gehe es ja um eine ganz andere Frage, nämlich um die Ablösung der völlig zerrütteten Großen Koalition in Berlin durch ein neues Politikangebot. Dafür stünde Rot-Grün, und nur wenn der Wählerwille es anders wolle, müsse man zur Notvariante unter Einschluss der PDS greifen. Koalitionen seien reine politische Zweckbündnisse, denen keinerlei höhere Sinnstiftung zukomme. So pragmatisch beschreibt auch Norbert Seitz in seinem Debattenbeitrag für den Tagesspiegel das Vorgehen der Berliner SPD.

Gregor Gysis Anspruch, durch die Machtbeteiligung in Berlin den historischen Weg für rot-rote Dauerkonstellationen zu ebnen, wird als Selbstüberhebung und Größenwahn abgetan. Prominente Parteifreunde wissen das längst besser. Oskar Lafontaine und Egon Bahr tönen seit Monaten von der historischen Chance einer wiedervereinigten Linken und der Möglichkeit, den bürgerlichen Gegner dadurch dauerhaft in die Knie zu zwingen.

Franz Müntefering fabuliert von Bündnissen mit der PDS als Beitrag zur inneren Einheit. Erhard Eppler träumt von der Reintegration des Marxismus-Leninismus in die europäische Geistes- und Kulturgeschichte und sieht den Kern der PDS als weitgehend sozialdemokratisch. Kein Problem also, diese Partei zu integrieren und in absehbarer Zeit zu übernehmen. Ohnehin seien ja viele der SED-Genossen verhinderte Sozialdemokraten gewesen.

Wer Zweifel und Bedenken geltend macht, wird vom Obergenossen Schröder mit dem qualifizierten Argument "Schnauze halten" abgefertigt. Angesichts dieser Diskussionskultur sind erklärte PDS-Kritiker wie Stefan Hilsberg und Richard Schröder kaum noch zu vernehmen. Es bleibt den ehemaligen sozialdemokratischen Häftlingen vom Kurt-Schumacher-Kreis und einem Mann wie Klaus von Dohnanyi vorbehalten, auf einigen unangenehmen Wahrheiten zu beharren.

Zum Beispiel darauf, dass gute Absichten schon oft den Weg zur Hölle pflasterten. Oder auf historische Einsichten, die man nicht zur Hälfte gewinnen kann, um dann mit der positiven Einschätzung der Oktoberrevolution und der historischen Berechtigung des Menschenexperiments DDR in der Gegenwart anzukommen. Oder auf dem eigentlich unüberwindbaren Graben zwischen Systemopposition und Reformkraft. Es muss jemand wie das Ex-Politbüromitglied Günter Schabowski kommen, der den SPD-Genossen historischen Realismus einbleut und die PDS nicht als Nachfolge- sondern als "Fortsetzungspartei der SED - nur ohne Moskau" einschätzt.

Stimmen von Außenseitern und einzelne Proteste werden nichts daran ändern, dass im Willy-Brandt-Haus, im Kanzleramt und der Berliner Zentrale der SPD die PDS-Option immer konkretere Formen annimmt. Mit dem Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr und im Bestreben, die CDU strategisch mehrheitsunfähig zu machen, wird aus der pragmatischen Näherungs- und Koalitionsoption ein historisches Bündnis.

Genau darauf setzen Gregor Gysi und seine Getreuen. Mit nachgereichten Entschuldigungen und historischen Erklärungen demonstrieren sie immer soviel Fortschritt, dass das Gegenüber pädagogisch nachsichtig nicken kann und die eigene Parteibasis dennoch nicht überfordert wird. Sie dröhnen vom Augiasstall in Berlin, den die CDU hinterlassen habe und den man jetzt mit geeinten linken Kräften ausmisten müsse.

Gysi ist weit mehr Realist als ein Großteil der Politiker und Kommentatoren. Er weiß, dass er hoch pokern muss, um die Anhängerschaft und frustrierte Nichtwähler für eine "linke Alternative" zu mobilisieren. Er weiß, dass die Ankündigung, Regierender Bürgermeister zu werden und die PDS zur stärksten politischen Kraft in Berlin zu machen, gar nicht aufzugehen braucht. Er wird dennoch einen Mobilisierungseffekt erzeugen, von dem die anderen Parteien nur träumen können. Als stellvertretender Bürgermeister und Stimmführer der PDS im Bundesrat könnte er seiner Partei unersetzliche Dienste für die Machtbeteiligung auf Bundesebene leisten.

Wenn nach Bundeskanzler Schröders Sommertour durch die neuen Bundesländer und dem Verglimmen der Freudenfeuer über die BMW-Ansiedlung in Leipzig erneut die Konjunkturdaten und die Arbeitslosenzahlen Ost auf dem Tisch liegen, werden Berliner Ebene und Bundesebene noch näher aneinander rücken. Auf beiden Ebenen wird es eine an Einfluss wachsende, trotz aller innerer Widersprüche und Konflikte handlungsfähige PDS geben, die sich nicht auseinander dividieren lässt.

Alle Wunschträume, diese Partei zu entzaubern, durch Machtbeteiligung aufzulösen oder ihres modern-sozialdemokratischen Führungspersonals zu berauben, verkennen die Situation der Beteiligten. Was sollten Gregor Gysi, Harald Wolf, Petra Pau und Andre Brie ohne die Machtbasis ihrer Organisation? Sollten sie sich individuell geläutert bei Gerhard Schröder und Franz Müntefering anstellen und zur weiteren Verwendung bewerben? Gregor Gysi könnte sich dann als Entertainment-Gigolo verdingen oder seine Ankündigung wahrmachen, erneut Klienten zu betreuen. Vom Ausgang der Berliner Wahlen und den Entscheidungen danach geht mehr als eine Signalwirkung für die Bundespolitik aus. Wer das verkennt, verweigert sich der deutsch-deutschen Realität.

Der Autor ist einer der bekanntesten DDR-Bürgerrechtler und gehörte zu den Gründern von Bündnis 90.

Wolfgang Templin

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