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Meinung: Plausibel Schlangenlinien fahren

Den Sommer hat die Union gut überstanden, vom Herbst ist das nicht ganz so sicher

Von Robert Birnbaum

Na, CDU und CSU, Sommerpause gut überstanden? Danke der Nachfrage – ja. Wenn die Tiefe des journalistischen Sommerlochs als Indikator taugt, dann haben die Unionsparteien die Sommerferien sogar ausgezeichnet überstanden. Der Theaterdonner über die Steuerreform vor dem Urlaub hat sich nicht zum Sommertheater ausgewachsen, obwohl er das Zeug dazu gehabt hätte. Gerhard Schröders Steuersenkungscoup hat die Bürger nicht nachhaltig beeindruckt; die Umfragewerte der Regierung, insbesondere der SPD bleiben erdrückend niedrig, die der Union entsprechend hoch. Roland Koch gibt bekannt, er wolle nicht innerparteiliche Opposition spielen. Alles in Ordnung also.

Komisch nur, dass beim Blick auf die Union so recht keine Freude aufkommt. Man erkennt allzu deutlich: So bleibt das nicht. Der schwere Herbst, den die Opposition der Regierung voraussagt, wird auch an ihr selbst zerren. Die internen Differenzen sind aufgeschoben, nicht aufgehoben. Viel von dem Bonus, den CDU und CSU bei den Bürgern genießen, ist nicht erarbeitet, sondern geborgt, ein Reflex nur auf die unsteten Darbietungen der Regierenden.

Dazu kommt etwas Unberechenbares, etwas, was sich erst ganz leise andeutet, was vielleicht nicht einmal von langer Dauer ist, vielleicht aber trotzdem von großer Wirkung. Die allgemeine Stimmungslage wirkt nicht mehr ganz so düster. Die wirtschaftliche Talsohle ist womöglich nicht erreicht; die objektiven Daten liefern wenig Grund zum Durchatmen. Aber die psychologische Talsohle könnte hinter uns liegen. Es gibt leise Hoffnung, dass sich die Dinge bessern. Aus der Hoffnung wachsen Erwartungen.

Die Erwartungen richten sich zunächst natürlich auf die Regierung, aber sie richten sich genau so fordernd auf die Opposition. Wer im Bundesrat die Mehrheit hat, regiert mit. Die Unionsführung hat dies erkannt, deshalb herrscht im Groben bemerkenswerte Einigkeit von Angela Merkel bis Roland Koch, von Christian Wulff bis Edmund Stoiber: Die Union wird einen Zickzack-Kurs zwischen oppositioneller Blockadelust und staatspolitischer Verantwortungspflicht steuern. Die Kunst und die Schwierigkeit besteht darin, plausibel Schlangenlinien zu fahren.

Schwierig ist das vor allem deshalb, weil die Union zwar als geschlossener Block wahrgenommen und öffentlich bewertet wird, aber alles andere als ein Block ist. Üblicherweise wird das mit der Formel erklärt, es mangele der Union am klaren Machtzentrum, weil nicht entschieden sei, wer sie 2006 in die Wahlen führt. Das stimmt ja auch. Manches Geschlingere und Gezögere ist nur dadurch zu erklären, dass Merkel ihre Pole-Position zu behaupten versucht und Koch ihr – übrigens egal, ob jeweils absichtsvoll oder nicht – im Nacken sitzt. Das absehbar immer wieder auflebende Gezerre über die vollkommen gleichgültige Frage, ob die Union mit der Regierung im Vermittlungsausschuss verhandelt oder in außerparlamentarischen Konsensrunden, ist ausschließlich Folge des unionsinternen Machtgerangels. Aber selbst ein Patriarch vom Format des späten Helmut Kohl könnte nicht die Interessenunterschiede per Ordre de Mufti aus der Welt schaffen. Er könnte es schon gar nicht zur Mitte der Legislaturperiode, wo keine nahe Bundestagswahl Länderfürsten zu Parteiräson zwingen kann.

Die Folgen werden sehr bald wieder zu besichtigen sein; spätestens beim Thema Steuerreform. Die Länder wissen – mit nach Kassenstand abgestufter Dramatik –, dass sie eine vorgezogene Steuerreform „auf Pump“ nicht zahlen können. Die Unionsführung weiß, dass das als Begründung für eine Steuerreform-Blockade nicht reicht. Gerade dann nicht, wenn sich das zarte Pflänzchen Hoffnung bis dahin hält. Gerade dann nicht, wenn der Herbst ökonomisch so furchtbar wird, wie es viele in der Union voraussagen. Je tiefer die Krise, desto stärker der Druck, Lösungen zu finden – notfalls Notlösungen.

Das verlangt der Opposition, die ihre Stärke ja immer im Rechthaben sucht, mehr ab als der Regierung, die allemal pragmatisch agiert. Noch lässt sich die Entscheidung mit Vorfeldscharmützeln umgehen. Über die Etikettefrage, wer wann welche Finanzierungsvorschläge machen müsste, kann man eine Zeit lang zanken. Aber sobald verhandelt wird, muss die Union sagen, was sie will. Und am Ende wird abgestimmt: Ja oder Nein. Viel zu gewinnen ist für die Union in diesem mühsamen Prozess nicht. Viel zu verlieren schon.

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