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Thomas Lackmann ist Redakteur des Tagesspiegels.

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Polemik: Gegen die Genervten

Auf der einen Seite ein zusammengeschlagener Rabbiner, angepöbelte Schülerinnen. Auf der anderen Seite eine verdruckste antijüdische Massenstimmung, getragen von einer Genervtheit gegenüber jüdischen Ansprüchen. Dieser Stimmung muss Kontra gegeben werden.

Eigentlich darf man in Berlin (Deutschland) wieder „Jude“ sagen, spätestens seit Dani Levys Komödie „Alles auf Zucker“. Dass die „Normalität“ trotzdem schleppt, fiel mir auf, als ich das J-Wort mal mit Zusatz ausprobieren wollte. Anlass dafür war die jüngst in Charlottenburg vorgefallene Beschimpfung von Schülerinnen mit dem Begriff „Juden-Tussen“. Ich testete, wie „Türken-Tusse“ klingt oder „Schwaben-Banker“: wenig schmeichelhaft, aber kein Fall für den Staatsschutz. „Jude“ dagegen sollte man wohl lieber ohne alles aussprechen, da hängt potenziell an jedem Bindestrich eine rassistische Verunglimpfung.

Über „Tusse“ allein ließe sich ja streiten, eine Kollegin sagt, so heiße der weibliche Troll in Norwegens Märchenwelt, mir selbst fällt Kleists Cherusker-Fürst Hermann ein, wie er seine Thusnelda zum Thuschen verniedlicht, und Berlins frauenfeindlich kurze (50 Meter!) Thusnelda-Allee in Moabit. Bedrohlich wirkte die Attacke aus anderen Gründen: Weil die beleidigenden Teenager in Männer-Begleitung waren, weil sie in „Wir kriegen euch“-Manier Fotos der Attackierten geknipst haben sollen.

Und weil andere Vorfälle vorausgegangen sind. Es ist uns gerade noch präsent: Ein Rabbiner mit Kippa wurde in Friedenau von orientalisch anmutenden Schlägern beschimpft, verprügelt, verletzt, seiner Tochter drohten sie den Tod an. Die dadurch ausgelöste Empörungsbewegung gipfelte in einem Solidaritätsauftritt des mit Kippa bedeckten Stadtoberhauptes, dem so was erlaubt ist – während ein Polizist, der Wochen später im Dienst mit Kippa fotografiert wurde, sich wegen Verletzung des Neutralitätsgebots rechtfertigen darf. Ich muss bei solchen Vorgängen an die legendäre Ankündigung des dänischen Königs denken, er werde fortan, da seine verfolgten Untertanen dazu verpflichtet wurden, den Judenstern tragen – eine, zugegeben, unscharfe Assoziation, denn Dänemark damals war von Hitlers Wehrmacht besetzt, während unser Regierender und sein Polizist qua Amt das Gewaltmonopol durchzusetzen haben.

Wenn man in diesen Tagen besonnene Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu „Hast du mal ’ne Kippa“-Gesten befragt, kommt kaum Begeisterung rüber, aber ein bedrückendes Gefühl: Weniger die singulären Übergriffe stimmen bedenklich als deren Zusammentreffen mit dem Blog- und Leserbrief-Schwall „gesunden Volksempfindens“, welcher – angeregt durch das Kölner Beschneidungsurteil – eine antijüdische Massenstimmung offenbart. „Als Nächstes prangern die Tierschützer das Schächten an,“ sagen Juden, denen Alarmismus fremd ist, die sich aber um ihre Zukunft hierzulande sorgen.

Wer repräsentiert denn politisch korrekt die Mehrheit – das Solidaritäts-Komitee oder antijüdische „Kinderschützer“? Gesetzt den Fall, in Deutschland gäbe es (historische Verantwortung!) einen Zwangskodex für zivilisierte Leute, dass man „die Juden“ oder Israel mit Samthandschuhen anzufassen habe: Wäre es denkbar, dass dieselben Personen, viele aus Kultur, Medien, Politik, eine Verdrucksung in sich tragen, die man nicht Antisemitismus nennen muss, die ich lieber als GR-Stimmung bezeichne („G“ für Genervtheit von jüdischen Ansprüchen und dem Nahost-Drama, „R“ für Ressentiment)? Wäre es denkbar, dass die Spaltung zwischen der Last des Kodex und untergründiger GR-Stimmung absurde Widersprüche, Proklamationen, Reaktionen produziert? Der Kodex ist wohl das, was übrig bleibt, wenn man Verantwortung erbt, ohne sich persönlich dafür zu entscheiden.

Das eigentliche Problem sind nicht die Schläger, es ist das Ressentiment. Dagegen Flagge zu zeigen, endet freilich selten so cool wie im Film „In & Out“ mit Kevin Kline (auf einer anderen Minoritäten-Baustelle): Da soll der zwangsgeoutete Lieblingslehrer gefeuert werden. Während der Abifeier springt ein Schüler auf: „Ich bin schwul!“ Es folgen Bekenntnisse der Eltern des Diskriminierten, seiner Braut, zuletzt der ganzen Aula voller braver Mitbürger. Hier war wohl der Erste der Mutigste. Der GR-Stimmung nicht mit Floskeln, sondern mit Argumenten Kontra zu geben, unter Kollegen oder in der Familie, notfalls allein – vielleicht fängt es damit an.

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