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Verkleidet als Beduine: Saif al-Islam Gaddafi bei seiner Festnahme 2011.

© Reuters

Porträt: „Bis zur letzten Patrone“

Er gab sich weltoffen und stellte Ölbilder in Berlin und Paris aus. Als der Bürgerkrieg begann, stellte er sich hinter den Vater. Nun wird dem Gaddafi-Sohn Saif al-Islam der Prozess gemacht.

Seine Festnahme in Beduinenkleidern nahe der Grenze zum Niger löste letzten November in ganz Libyen Jubelszenen aus. Seitdem sitzt Saif al Islam im Gebirgsort Zintan in Haft, im Kampf gegen das Gaddafi-Regime eine der frühen Hochburgen der Rebellen. In der zweiten Septemberwoche soll dem 40-Jährigen in Libyen der Prozess gemacht werden, ein ähnlich brisantes Justizspektakel wie im Nachbarland Ägypten das Strafverfahren gegen Expräsident Hosni Mubarak. Mord, Vergewaltigung und Korruption wirft die Anklage dem zweitältesten Gaddafi-Sohn vor, der sich in den Jahren vor dem Aufstand als weltläufiger Reformer, Kämpfer für die Anliegen der Jugend und politischer Erbe des Diktators aufgespielt hatte. Eine Auslieferung an den Internationalen Gerichtshof (ICC) lehnte Libyen Anfang der Woche endgültig ab.

Unvergessen ist ein Fernsehauftritt vom Februar 2011. Der Gaddafi-Sprössling, dessen Name „Schwert des Islam“ bedeutet, drohte den noch friedlichen Demonstranten mit einem Kampf bis „zur letzten Patrone“. In den folgenden neun Monaten Bürgerkrieg starben über 20 000 Menschen. Am Ende lynchten die Rebellen Vater Gaddafi auf offener Straße.

Geboren wurde Saif al Islam am 1972 in Tripolis. Er studierte Architektur an der Universität von Al Fatih und Wirtschaftswissenschaften in Wien. Bis zu seiner Flucht aus Tripolis im August vor einem Jahr residierte der stets modisch gekleidete Hobbymaler in einem großen Anwesen am Rande der Hauptstadt. Seine Ausstellung „Die Wüste schweigt nicht“ mit rund 30 Ölbildern war 2002 in Paris und Berlin zu sehen, später auch in Madrid. Wie Wikileaks enthüllte, lenkte auch er – wie alle seine acht Geschwister – einen Teil der Milliardenerlöse der „National Oil Company“ in die eigene Tasche. Im Kampf gegen die Aufständischen agierte er bis zum letzten Tag als Mitorganisator beim Einsatz der Elitetruppen des Regimes.

Tausende Familien haben noch Rechnungen offen mit Saif al Islam, dessen Anwälte einen unfairen Prozess fürchten. Human Rights Watch kritisierte die Haftbedingungen. Ungeklärt ist, in welchem Rahmen das Gericht tagen soll – unter der Aufsicht der Übergangsregierung in Tripolis oder unter der Regie der Milizen in Zintan. Mehrmals und vergeblich hatte Saif al Islam ein Verfahren vor dem ICC in Den Haag gefordert. Dort droht ihm höchstens lebenslänglich, in seiner Heimat dagegen die Todesstrafe. Martin Gehlen

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