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Porträt: "Chinas heutige Literatur ist Müll"

Der Bonner Sinologe und Übersetzer Wolfgang Kubin hält nicht viel von Chinas Gegenwartsliteratur. Mit seiner Generalabrechnung im vergangenen Jahr stürzte er die Literaturszene in eine Sinnkrise.

Auf Kritik aus dem Ausland reagieren Chinesen oft abweisend. Da wird auf den Kulturunterschied verwiesen, die Sprachschwierigkeiten. Ausländer verstünden China eben nicht. Als der Bonner Sinologieprofessor und Schriftsteller Wolfgang Kubin im vergangenen Jahr zu einer Generalabrechnung mit der chinesischen Gegenwartsliteratur ausholte, war die Reaktion anders. Ein paar Sätze genügten, um in China eine Literaturdebatte loszutreten.

Die chinesische Gegenwartsliteratur tauge nichts, sagte Kubin dem Reporter der Deutschen Welle. Die Werke der Zeitgeistautoren Mian Mian und Wei Hui bezeichnete er als „Müll“. Der chinesische Bestseller „Wolfstotem“ sei für ihn „faschistisch“. Überhaupt habe China seit der Gründung der Volksrepublik 1949 keinen großen Schriftsteller mehr hervorgebracht. Das reichte, um die Literaturszene in eine Sinnkrise zu stürzen. Unter der zugespitzten Überschrift „Chinas Gegenwartsliteratur ist Müll“ druckte eine Chongqinger Zeitung Ausschnitte aus dem Interview. In den nächsten Tagen meldeten sich tausende Internetnutzer zu Wort, um über die heimische Literatur zu diskutieren. Schriftsteller und Literaturkritiker debattierten in den Tageszeitungen.

Eine bekannte Schriftstellerin hielt dem Deutschen „unerträgliche Arroganz“ vor. An Kubins Sachverstand zweifelte aber niemand. Der 1945 in Celle geborene Sinologe gilt als einer der weltweit führenden Kenner der chinesischen Literaturszene. Kubin übersetzte moderne Lyriker wie Yang Lian, Gu Cheng und den für den Literaturnobelpreis nominierten Exildichter Bei Dao ins Deutsche. Seit 2002 schreibt der 61-Jährige an der auf zehn Bände angelegten „Geschichte der chinesischen Literatur“. Seine Kritik wird ernst genommen, auch wenn sie wehtut. „Die meisten chinesischen Autoren schreiben sehr schlechtes Chinesisch“, sagt Kubin. „Sie sollten erst einmal ihre Muttersprache lernen.“ Lob hat er immerhin für einige chinesische Dichter übrig.

Dass Kubin nun in einer feierlichen Zeremonie in der Großen Halle des Volkes den „Staatspreis für besondere Verdienste um die chinesische Buchindustrie“ erhielt, mag ein positives Signal sein. Kubin übersetzte in den vergangenen Jahren vor allem Exilautoren, deren Werke aus politischen Gründen zum Teil bis heute verboten sind. Manche Beobachter sehen in dem Preis deshalb eine indirekte Auszeichnung dieser Dichter. Kubin selbst sagt, er sei von der Ehrung überrascht. 

Harald Maass

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