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Porträt: "Einige von uns haben wichtigere Aufgaben"

Michael Martin ist britischer Parlamentspräsident. Seit neun Jahren bekleidet der 64-jährige ehemalige Schweißer dieses Amt im Unterhaus. In der Spesenkrise wittern nun seine politischen Gegner Morgenluft.

Eigentlich haben britische Parlamentarier alle Hände voll zu tun, ihre eigene Haut vor dem Volkszorn zu retten. Doch Angriff ist die beste Verteidigung – und so gehen sie ihrem Parlamentspräsidenten, Speaker Michael Martin, an den Kragen. Der 64-jährige Schotte könnte das erste Opfer der Spesenkrise werden, die wie eine schlammige Flut über die Mutter der Parlamente schwappt.

Der Tory-Abgeordnete Douglas Carswell brachte den Antrag für ein Misstrauensvotum gegen den ehemaligen Schweißer aus Glasgow in Umlauf, der seit neun Jahren im breitesten schottischen Arbeiterakzent dem Unterhaus präsidiert. „Er ist vielleicht gut dabei, Mr. Martin zu sein, als Speaker taugt er nichts“, begründete Carswell den Antrag bündig.

Das Unterhaus ist zornig, weil Martin, statt mit öffentlicher Zerknirschung die Scham der Parlamentarier über ihre Abzocke zu verkörpern, Parlamentarier abkanzelte, die sich hinter die Offenlegung von Details aus 1,5 Millionen Spesenrechnungen durch den „Daily Telegraph“ stellten. Eine Abgeordnete kanzelte er ab: „Sie können der Presse Zitate geben, andere in diesem Haus haben etwas wichtigere Aufgaben.“

Martin, der mit 15 die Schule verließ und in der Metallarbeitergewerkschaft Karriere machte, steht seit langem auf der Abschussliste einiger Abgeordneter. Nicht wegen seiner eigenen Spesenrechnungen, die vor einem Jahr Furore machten: Martin benutzte Bonus-Meilen, um seine Familie in der Business Class fliegen zu lassen, seine Frau rechnete Taxifahrten für 4000 Pfund ab, die Renovierung seines Amtssitzes kostete 1,7 Millionen Pfund. Als Kollegen die Nase rümpften, ließ er durchblicken, man wolle ihn als Mann der Arbeiterklasse demütigen.

Statt moralisches Krisenmanagement zu betreiben, führt Martin sich wie ein parlamentarischer Gewerkschaftsvertreter auf. Vier Jahre bot er im Namen des Unterhauses alle Rechtsmittel auf, um die Veröffentlichung der Spesenrechnungen zu verhindern. Lahm mahnt er die Parlamentarier, sie sollten bei ihren Abrechnungen nicht nur den Regeln, sondern auch „dem Geist“ dessen folgen, was „richtig“ sei. Doch dann rief er statt nach mehr Transparenz die Polizei, um herauszufinden, wer die Daten weitergab – eine, sagen die Kritiker, krasse Fehleinschätzung. Martins Chancen stehen schlecht: Gestern stellte sich die vielleicht schlechteste politische Spürnase im Land hinter ihn – Gordon Brown. 

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