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PORTRÄT KYRILL ORTHODOXER PATRIARCH:: „Narrenpossen vor Heiligtümern“

Das Punk-Gebet der Feministinnen von „Pussy Riot“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche – das jedenfalls meint Kyrill, der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche – dürfe nicht verharmlost werden, die Performance sei Gotteslästerung gewesen. Nicht Wladimir Putin, raunen Propheten staatsnaher Thinktanks daher hinter vorgehaltener Hand, sinne seitdem auf Rache für Majestätsbeleidigung, sondern vor allem die Kirche dränge auf eine exemplarische Bestrafung der Missetäterinnen.

Das Punk-Gebet der Feministinnen von „Pussy Riot“ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche – das jedenfalls meint Kyrill, der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche – dürfe nicht verharmlost werden, die Performance sei Gotteslästerung gewesen. Nicht Wladimir Putin, raunen Propheten staatsnaher Thinktanks daher hinter vorgehaltener Hand, sinne seitdem auf Rache für Majestätsbeleidigung, sondern vor allem die Kirche dränge auf eine exemplarische Bestrafung der Missetäterinnen. Und deren Meinung zu überhören, kann sich der Kreml angesichts latenter Unzufriedenheit immer weniger leisten.

Noch immer – zwanzig Jahre nach dem Ende von Sowjetmacht und Kommunismus – ringt das postkommunistische Russland wie einst Erzengel Gabriel mit dem Herrn um eine nationale Idee, die neue Identität stiftet. Bisher vergeblich. In das Vakuum stößt der Klerus, der sich trotz Trennung von Staat und Kirche ungefragt in alles einmischt. Die Popen korrigieren Lehrpläne staatlicher Schulen, verteufeln sexuelle Minderheiten und schwingen sich zur obersten moralischen Instanz auf, die sogar der Justiz den Kammerton vorgeben will. Obwohl diese moralische Instanz gut daran täte, mit sich selbst ins Gericht zu gehen, bevor sie den Stab über andere bricht. Kyrill nicht ausgenommen. Als die Öffentlichkeit sich über eine Hunderttausend-Dollar-Uhr an seinem Handgelenk empörte, ließ er das Foto mit dem Corpus Delicti durch seinen Pressedienst retuschieren.

Zwar gilt der fast 66-jährige Patriarch, der mit bürgerlichem Namen Wladimir Gundjajew heißt und sich als Diener Gottes den Namen von Kyrill wählte, dem die Russen ihr Alphabet verdanken, als aufgeklärt und gemäßigt. Nach seiner Wahl 2009 sahen ihn daher viele als Hoffnungsträger, der Russlands Kirche in die Moderne führen würde. Nicht einmal ein Treffen mit dem Papst – das erste seit der Trennung von Ost- und Westkirche vor fast tausend Jahren – wollte der als Diplomat und Verhandlungskünstler gelobte Kirchenfürst a priori ausschließen. Zunehmend schwenkte er jedoch auf die Positionen ultrakonservativer Metropoliten – Erzbischöfe – um. Und lieferte daher bei Pussy-Prozess-Kritikern die Steilvorlage für Vergleiche mit der Inquisition.

Ein Vorwurf, der schlimmer kaum denkbar ist. Zu Recht war die orthodoxe Kirche stets stolz darauf, dass es selbst im finstersten Mittelalter keine Glaubensgerichte gab und Russland keine Hexen verbrannte. Elke Windisch

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