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Positionen: Die böse Hexe und die Inflation

Die Lebenshaltungskosten steigen, Inflationsangst greift um sich. Wenn jetzt noch die Arbeitnehmer zulangen, so die Befürchtung vieler, beschleunigt das nur die Preisspirale. Doch höhere Löhne führen nicht notwendigerweise zu Preissteigerungen.

Die Preise klettern wieder. Obst und Gemüse sind im Vorjahresvergleich um bis zu 18 Prozent teurer. Für das Stück Butter zahlt der Verbraucher ein Viertel mehr. Der Preis für Heizöl stieg um stolze 30 Prozent. Die ersten Auguren verkünden bereits die große Inflation. Die Warnrufe werden gehört. Seitdem Währungswächter und Politiker in der Krise die Geldhähne öffneten, beschleicht die Bevölkerung ein ungutes Gefühl. Wenn jetzt die Gewerkschaften kräftig zulangen, könnten die Euroscheine vielleicht schon bald nichts mehr wert sein.

Inflationsangst macht sich breit im Land. Die heimischen Verbraucherpreise stiegen zuletzt um 1,9 Prozent. Im Euroland kletterten die Lebenshaltungskosten sogar um 2,4 Prozent. Bei Preissprüngen von über zwei Prozent geraten die Euro-Zentralbanker ins Schwitzen. Der jüngste Preisschub geht auf höhere Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise zurück. Nach der schweren Wirtschaftskrise zogen Aufträge und Produktion wieder stark an. Folglich stieg der Rohstoffhunger der Industrie- und Schwellenländer. Der Ölpreis kletterte um fast ein Drittel. Weizen-, Mais- und Sojapreise explodieren, weil Chinesen, Inder und Brasilianer mehr und besser essen. Zudem fließt immer mehr Biosprit in den Tank. Darüber hinaus verteuert der schwache Euro die Einfuhren. Die importierten Preissteigerungen führen aber nicht zu dauerhaft höheren Verbraucherpreisen.

Die Produktionskapazitäten sind trotz Wachstum XXL nicht voll ausgelastet. Die Schnellstraße zur Vollbeschäftigung ist voller Schlaglöcher. Preistreibende Engpässe bei Produktion und Arbeitskräften gibt es nicht. So erklärt sich, warum die durch Bankenrettung und Konjunkturpakete aufgeblähte Geldmenge nicht zu galoppierenden Preisen führte. Darüber hinaus wird die Kraft des Aufschwungs im zweiten Halbjahr nachlassen. Kurzum: Vieles spricht dafür, dass der Preisdruck in den nächsten Monaten sinkt.

Selbst kräftige Tariflohnzuwächse werden den Preisen keine Beine machen. Eine rückläufige Tarifbindung und ein wachsender Niedriglohnsektor sorgen dafür, dass das, was Gewerkschaften aushandeln, nicht bei allen Beschäftigten ankommt. Die allgemeine Lohnentwicklung bleibt seit über einem Jahrzehnt hinter den Tarifabschlüssen zurück.

Zudem ist die Lohn-Preis-Spirale ein ökonomisches Märchen mit den Gewerkschaften in der Rolle der bösen Hexe. Höhere Löhne müssen den Preisen keine Flügel verleihen. In einer Marktwirtschaft ist es noch immer die freie Entscheidung der Unternehmen ihre Preise anzuheben. Es gibt keinen ökonomischen Zwang, höhere Arbeitskosten auf die Preise zu abzuwälzen. Durch Preissteigerungen sichern die Unternehmen lediglich ihre Gewinnmargen. Aktuell sind die Geldspeicher der Firmen prall gefüllt. Seit der Jahrtausendwende stiegen die Gewinn- und Vermögenseinkommen, trotz großer Krise, um stolze 60 Prozent. Statt die Preise in Reaktion auf gestiegene Kosten anzuheben, können die Unternehmen auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verbessern. Dann wirken höhere Löhne als preissenkende Produktivitätspeitsche.

Ob die Unternehmen die Preise erhöhen, ist häufig abhängig von ihrer Marktmacht. Dort wo kein oder wenig Wettbewerb herrscht, kann das Management seine Preisvorstellungen und Verteilungsansprüche durchsetzen. Die Energie- und Nahrungsmittelmärkte sind nur die prominentesten Beispiele. Hier sind Politik, Kartellamt und Regulierungsbehörden aufgefordert gegen die marktbeherrschende Stellung einzelner Unternehmensgruppen vorzugehen. Ordnungspolitischer Anspruch und Realpolitik klaffen jedoch bei Brüderle, Westerwelle & Co weit auseinander. Wer aber ständig über Inflationsgefahr redet, darf von Marktmacht nicht schweigen.

Dass das Leben in den letzten Monaten teurer geworden ist, darf für die Gewerkschaften kein Anlass sein, sich in Bescheidenheit zu üben. Mittel- bis langfristig steht uns keine Inflation ins Haus. Für die Preise sind noch immer die Unternehmen verantwortlich. Ihre Gewinnansprüche entscheiden letzten Endes über die Höhe der Güterpreise. Lohnzurückhaltung ist kein Schutz vor Inflation, sondern Futter für die Gewinne.

Der Autor ist Wirtschaftsexperte der Gewerkschaft Verdi.

Dierk Hirschel

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