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Alexander Görlach.

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POSITIONEN: Die Revolution frisst ihre Kinder

Bedrohte Einheit: Steht die katholische Kirche vor der Spaltung?

Die katholische Kirche in Deutschland steht vor der Spaltung. Der Streit entzündet sich an der Frage, ob man ein aktiver Teil der Gesellschaft bleiben möchte oder sich zurückzieht und als Heiliger Rest die Wiederkunft Christi erwartet. Die Erstgenannten stehen in der Tradition großer christlicher Denker, die anderen orientieren sich an christlichen Sektierern. Der erste Weg ist beschwerlich, weil er den Diskurs fordert. Der zweite leicht, weil er die ewige Wahrheit in allen Fragen zu kennen scheint. Freiheit ist immer schwerer als das Dogma.

Nun lehrt der Stifter seine Kirche, dass der Mensch zur Freiheit berufen ist. Freiheit bedeutet nicht regellos. Keine Gemeinschaft kommt ohne Übereinkunft aus, ohne Bekenntnis und ohne Vision. So entzündet sich die aktuelle Kontroverse auch nicht an einem Streit über irgendein Dogma, sondern über den zukünftigen Weg der Gemeinde.

Die Kirche wird bei uns an ihrem eigenen Erfolg irre. Weil Europa christlich geprägt ist, gehört das Christentum nicht nur der Kirche. Es gehört allen. 586 Millionen Menschen in Europa sind Christen – und dabei nicht zwingend Kirchgänger. Ob zur Stammzellforschung oder Sterbehilfe: Überall werden die Stimmen von Christen gehört und in den Abwägungsprozess einbezogen. Das Christentum als gesellschaftliche Kraft gehört auch den Zweiflern und Agnostikern.

Wer die Anfänge der innerkirchlichen Krise verstehen will, muss in die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückgehen. Im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) öffnet sich die katholische Kirche: Sie erkennt die Vielheit der Religionen und die Religionsfreiheit an, sie definiert ihr Verhältnis zur Demokratie. Sie tut das verbindlich – das Konzil hat Rechtskraft. In einem Dokument ordnet die Kirche ihr Innenleben neu. Sie verändert den Gottesdienst, das Kraftzentrum des kirchlichen Lebens.

Für Nichtkatholiken mag es kaum zu verstehen sein, aber hier beginnt der große Streit. Das Vatikanum kommt zu einem revolutionären Bruch mit der Tradition, der vor allem in Deutschland falsch verstanden wird. Hochaltäre und Heiligenbilder werden abgerissen, verbrannt und zerstört. Was die Bilderstürmer des Mittelalters und die Bomben im Zweiten Weltkrieg nicht vermochten, das schafften nun katholische Priester mit der Axt in der Hand. Das hat die Gläubigen verstört – nachhaltig. Das Lateinische in der Liturgie, von Rom niemals abgeschafft, wird in Deutschland dämonisiert.

Das Konzil war in seiner Wirkung wie die Oktoberrevolution in Russland oder die Kulturrevolution in China. Ein epochaler und brachialer Umbruch, den viele Gläubige bis heute ihrer Kirche nicht verzeihen. Im Gefolge des Konzils kommt es zu Abspaltungen wie die der Pius-Bruderschaft oder der Bildung von Splittergruppen wie des Opus Angelorum. Die Einheit der Kirche, die das Konzil stärken sollte, hängt seitdem am seidenen Faden.

Die Verfechter dieser Reformen in Deutschland, die katholischen 68er sozusagen, kämpfen heute um ihr Erbe. Was sie nicht einsehen wollen, ist, dass die Abschaffung des Lateinischen im Sonntagsgottesdienst nicht zur Folge hatte, dass die Leute auf der Straße verstehen, was die Kirche meint. Beispielsweise wurden über Jahrzehnte im kirchlichen Religionsunterricht junge Christen nicht sprechfähig gemacht. Der Kommunikationsfehler liegt also in der Kirche selbst und nicht etwa in der bösen Welt. Das macht es so hart – für beide Seiten. Die Bilderstürmer haben ein ebenso verklärtes Bild von ihren Errungenschaften wie die Retro-Frommen von der Vergangenheit.

Für die Zukunft muss für die katholische Kirche in Deutschland gelten: Nach außen im Diskurs stehen und innerlich stark sein. Den Willen zur Mitwirkung an der Gestaltung der Gesellschaft kombinieren mit der vollen Tiefe der liturgischen Tradition. Die verbliebenen Gläubigen machen es ihren Bischöfen häufig schon vor, wie das zusammen gehen muss.

Der Autor ist Chefredakteur des Debattenmagazins „The European“.

Alexander Görlach

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